Arbeiten von zu Hause aus: Das trägt viele Namen. In der Pandemie hat diese Form der Mitarbeit bei deutschen Unternehmen und Verwaltungen einen ungeahnten Aufschwung genommen. Als wirksame Maßnahme des Infektionsschutzes und der Vereinbarkeit des Berufs mit der Familie in Zeiten von Homeschooling und KiTa-Schließungen. Im allgemeinen Sprachgebrauch hat sich der Begriff „Homeoffice“ für diese Arbeit von zu Hause aus eingebürgert. Im offiziellen Sprachgebrauch wird dieses Wort allerdings vermieden. Denn würde es genutzt, verbänden sich damit gesetzliche Pflichten für den Arbeitgeber, was die Ausstattung des häuslichen Arbeitsplatzes betrifft. So sprechen die Firmen und Verwaltungen konsequent von „mobiler Arbeit“ – das kostet sie weniger.
Und schon ist man mittendrin in der vielschichtigen Debatte rund um Haken und Ösen, Chancen und Risiken, Vorteilen und Fallstricken, Fluch und Segen des Homeoffice. Die Phase, während der es als Direktmaßnahme zur pandemischen Gefahrenabwehr geboten war, dass Beschäftigte verordnet oder flexibel den Bürotisch im Betrieb mit einem Provisorium in der häuslichen Wohnung tauschten, geht angesichts wachsenden Impffortschritts vorbei. Das Pendel schwingt in einigen Unternehmen und Verwaltungen bereits zurück. Höchste Zeit also, die Erfahrungen des ersten Jahres zu reflektieren, um das Gute mitzunehmen in die zukünftige Ausgestaltung der betrieblichen Strukturen und Abläufe und das weniger Gute hinter sich zu lassen, mit betrieblichen Regelungen, die ihm entgegenwirken.
Das Erste und Wichtigste vorweg: Auch das Homeoffice respektive die mobile Arbeit zu Hause ist kein rechtsfreier Raum. Zwar entziehen sich viele Arbeitgeber ihrer Verantwortung für die ergonomische Ausgestaltung des Arbeitsplatzes ihrer Mitarbeitenden. Aber Arbeitsschutzgesetze etwa in Fragen der Arbeitszeiten und des Datenschutzes gelten selbstverständlich auch, wenn von zu Hause aus mitgearbeitet wird. Darauf weist zum Beispiel Dr. Elke Ahlers vom Düsseldorfer Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut der Hans-Böckler-Stiftung hin. Mehr noch als ohnehin im betrieblichen Alltag kommt es allerdings darauf an, wie bewusst, gezielt, partizipativ, transparent, verbindlich und vertrauensvoll Führungskräfte und Teams die neue Situation gestalten.
Gibt es gute Regelungen, stimmt die betriebliche Kultur, unterstützt durch ein entsprechendes Führungsverhalten, läuft es gut. In anderen Fällen gehen Arbeitssituation und Arbeitsqualität ganzer Teams oder einzelner Mitarbeitender in die verkehrte Richtung. Schlüsselfragen, die betrieblich gut besprochen und vereinbart werden müssen, beziehen sich auf die veränderte Arbeitsorganisation und die veränderte Alltagskommunikation. Sie beziehen sich aber auch wesentlich auf die Frage klar umrissener Arbeitszeiten und Erreichbarkeiten. Wenn das nicht gut geregelt ist, wird aus der gewünschten Vereinbarkeit von Familie und Beruf rasch eine Überfrachtung und Überlagerung des Lebens durch die Erwerbsarbeit mit entsprechenden psychischen und sozialen Folgen.
Wie stark Anforderungen des Arbeitens von zu Hause aus als Herausforderung oder Belastung empfunden wird, ist den objektiven Rahmenbedingungen und individuellen Voraussetzungen geschuldet. Nicht jeder und jede ist für diese Form der Mitarbeit geboren, unterstreicht zum Beispiel Diplom-Psychologe Martin Figgen vom Landesinstitut für Arbeitsgestaltung des Landes Nordrhein-Westfalen. Beanspruchung und Arbeitsverdichtung durch Telearbeit und Videokonferenzen, das Multitasking mit privaten Anforderungen, Störungen und Unterbrechungen im häuslichen Umfeld, unstrukturierte oder uneingespielte dezentrale Teamarbeit, mangelndes Feedback und Vertrauen von Führungskräften und Kolleginnen und Kollegen – all das kann gewaltig stressen. Wer unfreiwillig zu Hause arbeiten muss, den führt diese Kombination besonders rasch an oder über Grenzen.
Die Folgen ungeregelter Situationen können auf mehreren Ebenen fatal sein. Die Qualität der Arbeit und der Zusammenarbeit leidet. Konflikte entstehen, die unbearbeitet sich zu Mobbingsituationen verstärken und verfestigen können. Es braucht Absprachen und Kommunikation, man kann nicht einfach mal machen – wo es neu ist, dass Teammitglieder an verschiedenen Orten arbeiten, gilt es die Arbeit insgesamt neu zu organisieren, damit sie gut verteilt ist und sich die Teammitglieder gut einbringen können. Bisher Bewährtes muss zuweilen verändert werden, weil Dinge wegfallen oder neu hinzukommen. Oft ist anzuraten, dass sich Führungskräfte und Mitarbeitende gezielt über diese Veränderungen unterhalten und in neuen Herausforderungen fachlich weiterbilden.
Immer wieder kommt es im ganzen Feld der verteilten Arbeit mit Teams, die in Homeoffices sitzen, auf die Qualität der Leitungsarbeit an, von der Geschäftsführung über mittleres Management bis hin zu Teamleitungen. Das Führen auf Distanz ist nicht jedem und jeder in die Wiege gelegt. Im Grunde gelten zwar dieselben ungeschriebenen Gesetze guter Mitarbeiterführung, aber es gibt eine Menge handwerklicher Techniken, um empathisch, strukturiert und zielführend Gespräche, Beziehungen und Teamkultur aus der Ferne zu gestalten. Die Potsdamer Trainerin und Coachin Anja Zimmermann kann da aus dem Vollen schöpfen. Ein wichtiger Tipp: In allem, was man und frau sagt und tut, expliziter sein als ohnehin. Das Digitale verlangt nach Eindeutigkeit. Sie spricht von einem neuen Dialekt, den man sich miteinander erschließt, im Arbeitsalltag, bei Teamritualen, überhaupt.
Alles in allem birgt die verstärkte Öffnung der deutschen Unternehmen und Verwaltungen auf mobile Arbeit hin ein großes Potenzial für eine flexible, familienfreundlich und individuell regelbare Arbeitsorganisation. Im Sinne tragender Arbeitsbedingungen hängt es allerdings von einer bewussten Ausgestaltung der Veränderung an, ob sich dieses Potenzial entfalten kann. Neben möglichst konkreten, verbindlichen Vereinbarungen, welche mobile Arbeit und Präsenzarbeit im Sinne gelingender Zusammenarbeit austarieren und regeln, kommt es auf eine gute Kultur im Unternehmen und im Team an. In diesem Veränderungsprozess fällt den Leitungskräften eine besondere Verantwortung zu, die Mitarbeitenden zu begleiten und zu unterstützen. Betriebsräte und Mitarbeitervertretungen sollten ihre Möglichkeiten nutzen, die neue digitale Arbeitswelt in ihrem Verantwortungsbereich mit Blick auf die Belange der Belegschaften mitzuprägen.
Info
Der Beitrag basiert auf Fachinputs und Diskussionen im Rahmen einer dreiteiligen Serie von Digitalen Mittagspausen mit dem Titel „(Alp) Traum Homeoffice: psychosoziale Gesundheit am heimischen Schreibtisch“ im Frühjahr 2021. Die Veranstaltungsreihe wurde organisiert von der Mobbing-Kontakt-Stelle (MKS) im Bistum Aachen in Kooperation mit der Mobbingline NRW. Die MKS ist Mitglied der Mobbingline NRW und ihrer Partner, deren Aufgabe es ist, telefonische Beratung im Fall von Mobbing und Konflikten am Arbeitsplatz durchzuführen. Mehr unter www.mobbing-kontakt-stelle.de .