Gegen ein „Mir und meinen Leuten zuerst“

Gegen ein „Mir und meinen Leuten zuerst“

Datum:
Sa. 8. März 2025
Von:
Ronny Bartsch
  • Bischof Dr. Helmut Dieser warnt in seinem Fastenhirtenbrief vor Weltuntergangsstimmungen und Überwältigungsmechanismen
  • Pilger der Hoffnung in den Problemen und Nöten unserer Zeit 

Aachen 2. März. Der Bischof von Aachen, Dr. Helmut Dieser, hat vor der Versuchung gewarnt, dass wir Menschen einseitig, parteiisch, ja totalitär werden – ganz nach dem Motto „mir und mei­nen Leuten, meiner Partei, meinem Land zuerst und allein und alles“. Stattdessen ruft er in seinem heute veröffentlichten Hirtenbrief zur österlichen Bußzeit 2025 alle Gläubigen dazu auf, zu Pilgern der Hoffnung zu werden.  „Pilger der Hoffnung zu sein, das heißt begreifen, dass unser Leben immer ein Geschenk ist und Gnade und Erbarmen braucht“, betont Dieser. „An Gott glau­ben, Jesus als Herrn beken­nen, das treibt uns an, mehr für andere da zu sein, zu lie­ben, nicht um zu besitzen, son­dern um mitzulieben, ja zu­rück­­­zu­lieben, weil ich schon geliebt bin.“ 

Gemeinsam nach der Hoffnung Ausschau halten und zu ihr hinpilgern

In seinem Schreiben erinnert der Bischof daran, dass die Kirche auf der ganzen Welt das Jahr 2025 als Heiliges Jahr feiert und Papst Franziskus alle angeregt habe, sich als „Pilger der Hoffnung“ zu verstehen. Hoffnung sei nichts, was über den Dingen schwebe, sondern sie dringe in die Verhältnisse und Anliegen der Menschen ein, erläutert der Bischof. Wer sie suche, finde sie konkret für heute, nicht als bloße Reserve für später. „Deshalb ist es wichtig, dass wir Pilger der Hoffnung werden in den Problemen und Nöten von heute.“  Dabei hätten die Menschen heute einen ähnlichen Blick in die Welt: die Kriege und Feindseligkeiten, die Verhärtungen der Welt­teile und der verschie­denen Gruppen der Gesellschaft gegen­einander und die The­men, die im zurückliegenden Bundestagswahlkampf dis­ku­­tiert worden seien. Darüber hinaus aber hätten alle auch ganz persönliche Anfechtungen, Probleme und Nöte. „Pilger der Hoffnung werden bedeutet: Ich glaube an Gott, der all dem zu­ge­wandt ist“, führt Dieser aus. „Ich hoffe auf Gott, dass er heute darin wirkt, ich trage ihm ohne Unterlass alle meine Bitten vor – wie ein Kind, ich vertraue darauf, dass er das Böse zurückdrängt und Gutes herbei­führt.“ So wachse die Hoffnung, indem man selbst Schritte in diese Richtung mache. Pilger der Hoffnung seien wir ganz persönlich, dabei jedoch nicht allein auf uns gestellt. „Das will ja das Heilige Jahr bewirken, dass wir gemein­sam nach der Hoffnung Ausschau halten und zu ihr hinpilgern“, unterstreicht der Bischof. „Dem die­nen die verschiedenen geistlichen Unternehmungen, zu denen wir im Hei­ligen Jahr eingeladen sind, weltweit und auch in unserem Bistum.“

In einem geistlichen Kampf mit mehreren Versuchungen

Des Weiteren verweist Dieser darauf, dass für Christen die Hoffnung auf Gott ihren Ursprung und ihren Grund in Jesus hat. Daraus, dass Gott Jesus von den Toten auferweckt habe, komme alle Hoff­nung, und diese Hoffnung erweise sich als größer und stärker als alles, wovon sie ver­schlungen werden könne. All das aber müsse sich zu jeder Zeit neu als wirkmächtig erweisen, kon­kret und aktuell. „Das Evangelium erzählt, wie Jesus selbst sich diesem Kampf ausgesetzt hat in der Wüste“, hebt der Bischof hervor. „Dieser Kampf ist auch unser Kampf. Doch der Sieg und damit die Hoffnung kommen von Jesus, der der Herr ist!“ In diesem geistlichen Kampf gebe es etwa die Versuchung, aus Steinen Brot zu machen. Das Böse und Gefährliche dabei liegt nach Ansicht Diesers nicht darin, dass wir Menschen satt werden wollen, Sinn erfahren, gute soziale Politik erwarten oder für bestimm­te Bedarfe Abhilfe schaffen wollen, sondern darin, uns zu über­zeu­gen, all das ginge ohne Gott, nur aus eigenen Quellen. „Werden wir zu Pilgern der Hoffnung, das heißt: Begreifen wir den Glau­ben an Gott nicht als Vertröstung oder gar als Luxus, sondern als tiefste mensch­­li­che Ressour­ce und Lebensquelle“, mahnt der Bischof in seinem Schreiben an die Gläubigen. „Eine Welt, die Gott vergisst, braucht und schafft sich Ersatz für Gott. Sollen am Ende die jeweils Mäch­tigen alles Recht haben und das letzte Wort besitzen? Wer ist zu­stän­dig für die aus­sichts­losen Fälle? Wer schafft Freiheit, wo Ideologien und Diktaturen alle Kanäle besetzen? Gott ist der Gott der Freiheit.“ Wie der Bischof darüber hinaus erläutert, liege das Böse und Gefährliche auch nicht darin, dass wir uns Ziele setzen und sie auch mit Eifer verfolgen. Dann würden nämlich wunder­schöne Begeg­nun­gen mög­lich, indem wir uns denen zuwenden, die ärmer sind und ent­beh­ren, was uns geschenkt worden ist, und sich den Ver­lie­rern zuzuwenden, nicht um von ihnen zu profitieren, son­dern um ihrer selbst willen.  „Gott ist der Gott der Begegnung“, unterstreicht Dieser. „Er macht reich ohne Bezahlung, ohne Abrechnung. So begegnet er uns in Jesus.“ Und schließlich liegt nach Auffassung des Bischofs das Böse und Gefährliche auch nicht darin, dass wir Gren­­zen überschrei­ten wollen, mit dem puren Alltagstrott unzu­frieden werden und Vergnügen und Horizont­erwei­terungen suchen. Die Versuchung liege vielmehr darin, Gott nicht anzubeten, sondern zu verzwecken. Deshalb liege eine der tiefsten Anklagen gegen die Kirche darin, dass sie in ihrer Ge­schich­te nicht selten Gott dafür in Anspruch genom­men habe, ei­genes Macht- oder Über­wältigungsstreben zu kaschie­ren und durch­­zu­­set­zen. Darin aber liege der Ursprung von Miss­brauch aller Art. 

Nicht in Weltuntergangsstimmungen und Überwältigungsmechanismen verfallen

„Werden wir zu Pilgern der Hoffnung, das heißt: Wir stellen Gott nicht auf die Probe und üben keinen geistlichen Druck aus“, fordert Dieser stattdessen. „Wir verfallen nicht in Weltuntergangsstimmungen und wenden auch keine Überwältigungs­me­­cha­nis­men an, sondern trauen seiner Macht und Größe.“ Weil Gott uns Menschen führe, weil seine Vor­seh­ung unfehlbar sei und Jesus auferstanden sei, seien wir auch fähig, kritische Zeitgenossen zu sein und zu fragen: Wo wer­den Men­schen ma­ni­pu­liert? Wo verlieren sie ihre Würde und ihre Frei­heits­mög­­lich­keiten? Wo herrschen Ideologien und treiben dazu an, blind und kom­promisslos in die falsche Rich­tung zu laufen? „Gott aber ist der Gott der Ermög­li­chung: Er macht das Leben neu. Er schenkt Vergebung. Er bringt Neues her­vor und weckt gemeinsame Freude. Er lässt harte Grenzen schmel­­zen, und die, die gestern Gegner waren, wirken heute zusammen.“ 

In seinem Fastenhirtenbrief im Bistum Aachen geht Bischof Dieser auch auf den Gesprächs- und Ver­änderungsprozess „Heute bei dir“ ein, der unter dem Motto „Ich muss heute bei dir zu Gast sein“ steht und auf die veränderte Zeit reagieren soll. Die größte Ver­änderung besteht für Dieser darin, dass es heute ganz und gar nicht mehr selbst­ver­­ständliche Tra­dition sei, zur Kirche zu gehören, sondern dass der ein­zel­ne Mensch sich selbst dazu entscheiden muss und dafür tiefe le­bens­­ver­än­­dernde Gründe finden kann. Dafür habe das Bistum Aachen die drei Leitbegriffe Frei­heit, Begegnung und Ermöglichung gefunden, die in den kommenden Jahren in einer Pastoral­strategie entfalten werden sollen und zwar so, dass viele Menschen heute dem Evangelium Jesu Christi zustimmen und mit uns Kirche sein wol­len. 

Den Namen des Herrn persönlich und in Gemeinschaft anrufen

Abschließend weist Bischof Dieser darauf hin, dass die beginnende Fastenzeit und das Heilige Jahr 2025 unter dem Hoffnungswort des Apostels Paulus stehen „Jeder, der den Namen des Herrn anruft, wird gerettet wer­den!“ (Römerbrief 10,13). Er ruft mit Nachdruck dazu auf, regen Gebrauch davon zu machen, den Namen des Herrn  ganz persönlich und in Gemeinschaft anzurufen: durch das tägliche Gebet, durch Got­­tes­­dien­ste, Fas­ten- und Kreuz­wegandachten, die Mitfeier der Heiligen Mes­se am Sonntag, durch das Freitagsopfer, durch einen per­sön­lichen Fas­ten­vorsatz, durch die Sakramente­, be­son­ders das Bußsakra­ment und den Ablass des Heiligen Jahres, durch Werke der Nächsten­lie­be und durch Teilnah­me an den Pil­ger­fahr­ten des Heiligen Jahres im Bistum Aachen oder nach Rom.

Download: Fastenhirtenbrief