„Die Herausforderungen und Umwälzungen innerhalb der Gesellschaft sind so groß wie nie“, unterstrich Generalvikar Dr. Andreas Frick. Gerade deshalb sei es wichtiger denn je, miteinander ins Gespräch zu kommen und das Verhältnis zwischen Kirche, Politik und Verwaltung neu zu justieren. Eine gute Gelegenheit dazu bietet der jährliche Austausch „Kirche trifft Politik“ in der Aachener Citykirche St. Nikolaus. 60 Politikerinnen und Politiker aus dem gesamten Bistum Aachen diskutierten und formulierten ihre ganz konkreten Erwartungen an die Kirchen.
„Zeigen sie Flagge in der Mitte der Gesellschaft“: So formulierte es zum Beispiel der Bürgermeister der Kupferstadt Stolberg, Patrick Haas. Neben ihm waren noch die Bürgermeisterin der Stadt Monschau, Dr. Carmen Krämer, und mit Dr. Benjamin Fadavian und Jochen Weiler die Stadtoberhäupter von Herzogenrath und Heimbach auf dem Podium vertreten.
Doch bevor es in die Diskussion gehen sollte, nahm Generalvikar Frick eine erste Bestandsaufnahme vor. „Die Kirche selbst befindet sich zur Zeit in einem tiefgreifenden Veränderungsprozess. Auch wenn im Vergleich zu anderen Bistümern bei uns deutlich weniger Menschen ausgetreten sind, ist dies nur ein kleiner statistischer Trost." In diesem Sinne gehe es darum, sich neu zu erklären, die Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs konsequent fortzusetzen und um eine Positionierung in der gesellschaftlichen Mitte zu ringen. Hierzu Andreas Frick: „Ich bin fest davon überzeugt, dass unser sozialstaatliches Angebot schnell erschöpft ist, wenn wir als Kirche kein werteorientierter Player bleiben. Wir haben etwas beizutragen und wir werden uns dem auch nicht entziehen.“ Allerdings hätten sich die Rahmenbedingungen – auch im Hinblick auf das ehrenamtliche Engagement – in den vergangenen Jahren maßgeblich verändert. Menschen würden sich zwar weiterhin beteiligen – nur eben anders. Zudem werde angesichts der geplanten Strukturveränderungen von rund 50 pastoralen Räumen ab dem 1. Januar 2024 eine vernetzte Arbeitsweise vor Ort immer wichtiger. Dies schließe auch moderne, innovative und diverse Leitungsmodelle bestehend aus Haupt- und Ehrenamtlichen mit ein.
In diesem Sinne stand die Veranstaltung unter dem Motto „Innovation. Kooperation. Engagement. Kirche am Ort.“ Wie diese Orte gelebten Glaubens in Zukunft ausgestaltet werden sollen, erläuterte Dr. Thomas Ervens, Leiter der Hauptabteilung Pastoral / Schule / Bildung in einem kleinen Werkstattbericht. „Wir verändern subsidiär die pastoralen Strukturen des Bistums, indem wir aktuelle Entwicklungen in Kirche und Gesellschaft bewusst wahrnehmen und damit Orte von Kirche aktiv ermöglichen." Wichtig sei vor allem, den Blick auf das zu richten, was Kirche gut könne und keine Antworten auf Fragen geben zu wollen, die niemand gestellt habe. Stattdessen gehe es darum, den Menschen in ihrer Suche nach Orientierung und Sinn, Angebote zu machen.
Der Bürgermeister der Stadt Herzogenrath, Dr. Benjamin Fadavian, bestärkte die kirchlichen Vertreterinnen und Vertreter darin, sich auf ihre Kernkompetenzen - nämlich die Sinn-Vermittlung zu konzentrieren. „Bei uns in Herzogenrath ist die Kirche ein absoluter Aktivposten," unterstrich Fadavian. Gerade weil es oft an Orientierung fehle, müsse die Kirche es schaffen, Werte zu vermitteln. Denn: „Das Sinn-Angebot des Christentums ist extrem gehaltvoll und eigentlich sehr fröhlich." Trotzdem gelinge es der Kirche in der aktuellen Situation nicht ausreichend, diese Botschaft zu transportieren. In diesem Zusammenhang ergänzte der Stolberger Bürgermeister Patrick Haas für seine Stadt, dass die Kirche in schwierigen Quartieren Hoffnung geben und als Brückenbauer agieren könne.
Aber wie soll das alles funktionieren, wenn die Kirche der Zukunft stärker denn je eine Kirche des Ehrenamts sein wird? Hierzu hatte Engagement-Förderin Magdalena Bickmann aus dem Bischöflichen Generalvikariat zwar noch keine abschließende Antwort, aber immerhin eine hoffnungsvolle Botschaft im Gepäck. Das freiwillige Engagement genießt generell ein positives Image in der Gesellschaft. So sind 40 Prozent aller Deutschen ab 14 Jahren freiwillig engagiert. Zudem können sich Zweidrittel eine ehrenamtliche Tätigkeit in Zukunft vorstellen. Dies alles vor dem Hintergrund, dass sich die Einstellung zum Ehrenamt in den vergangenen Jahren sehr gewandelt hat. „Heute sprechen wir eher von einer Art Lebensabschnitts-Engagement, was den Menschen mehr Gestaltungsfreiheit lässt", sagte Bickmann. Üblicherweise sei der ehrenamtliche Einsatz heute projektbezogen und vor allem zeitlich begrenzt. Dies bestätigte auch Jochen Weiler, Bürgermeister der Stadt Heimbach, indem er anmerkte, dass die Verbundenheit zu einer Institution heute anders bewertet werde. „Wir müssen aktiv auf bestimmte Gesellschaftsschichten zugehen und sie abholen." Für die Akteure aus Kirche und Politik bedeute dies nach Ansicht von Magdalena Bickmann, sich in Zukunft noch mehr zu vernetzen, Rahmenbedingungen und Räume für Engagement zu schaffen und vor allem den Menschen etwas zu bieten, anstatt nur zu bitten, etwas zu tun. Hier stimmte vor allem Dr. Carmen Krämer, Bürgermeisterin der Stadt Monschau, zu. Es fehle an Begegnungsorten, die Jugendlichen etwas anbieten. Aus diesem Grund appellierte sie an die Kirche: „Erhalten Sie Räume der Begegnung und schaffen Sie Neue." Als Fazit blieb am Ende die Erkenntnis, dass die vielfältigen Herausforderungen vor Ort nur gemeinsam gestemmt werden können.