Eine unabhängige wissenschaftliche Studie bestärkt die katholische Kirche in NRW in ihren Anstrengungen im Kampf gegen sexualisierte Gewalt.
„Prävention wirkt!“ – Das ist das zentrale Ergebnis eines gemeinsamen Forschungsprojektes der fünf katholischen Bistümer in Nordrhein-Westfalen (NRW) zur Evaluation der Prävention sexualisierter Gewalt an Kindern, Jugendlichen sowie schutz- oder hilfebedürftigen Erwachsenen.
Unter der Fragestellung „Kann Prävention wirken, wenn ja, wie?“ sollte ein Forschungsteam des Instituts für Soziale Arbeit (ISA) in Münster und des Forschungszentrums SOCLES mit Sitz in Heidelberg und Berlin die Aktivitäten und Konzepte der Präventionsarbeit seit 2010 in den Bistümern Aachen, Essen, Köln, Münster und Paderborn untersuchen. Die wichtigsten Befunde der im Mai 2023 auf den Weg gebrachten Studie wurden am Mittwochabend, 20. November, in Düsseldorf Vertreterinnen und Vertretern der Bistümer sowie einem Fachpublikum vorgestellt.
Für das Forschungsteam um Milena Bücken und Professor Dr. Christian Schrapper (ISA) sowie Dr. Thomas Meysen (SOCLES) steht fest, dass sich die Bistümer in NRW „ihrer Verantwortung stellen und sich aktiv mit den Bedingungen auseinandersetzen, die sexuelle Übergriffe und Gewalt in ihren Gemeinden, Verbänden und Einrichtungen ermöglichen“. Indem beispielsweise sexuelle Gewalt eher erkannt, Übergriffe klar als solche bewertet und bearbeitet werden, entfalte Prävention erkennbar Wirksamkeit. Auch in der katholischen Kirche sei die Gestaltung und Umsetzung der Präventionsarbeit nun „in den Mühen der Ebene“ angekommen, so das Forschungsteam.
Die große Mehrheit der Menschen, die in der Kirche ehrenamtlich oder beruflich aktiv sind, stehe entschieden hinter den Anstrengungen, sexuelle Gewalt aufzuarbeiten und zu verhindern – auch wenn es Geld koste. Das ergab eine im Rahmen der Studie durchgeführte repräsentative Online-Befragung, an der sich über 5.000 Menschen beteiligten. Betroffene, die an der Befragung teilgenommen hatten, bewerteten allerdings Aktivitäten und Erfolg kirchlicher Präventionsarbeit deutlich kritischer, heißt es. Auch Kinder und Jugendliche äußerten Zweifel, so das Forschungsteam, „ob der Respekt vor ihren Interessen und Ideen – trotz aller Schutzkonzepte und Präventionsprogramme – tatsächlich so tragfähig ist, dass sie sich vor Übergriffen und Verletzungen gut geschützt fühlen können“.
Zweifellos, so die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, sei die Präventionsarbeit zu einem bedeutsamen und anerkannten Arbeitsfeld in den katholischen Bistümern in NRW geworden. Zugleich mahnen sie aber auch an, dass die Anstrengungen der Prävention gegen sexualisierte Gewalt weitergeführt und vertieft werden müssten. Zwar suchten Verantwortliche und Mitarbeitende in den Kirchen aktiv das Gespräch mit Betroffenen, um von ihnen etwas über Gelegenheiten, Orte und Strategien sexueller Übergriffe in der Kirche lernen zu wollen. Dies müsse aber qualifizierter und stärker in der Präventionsarbeit verankert werden, empfehlen sie. Deutlich „Luft nach oben“ sieht das Forschungsteam auch bei der Beteiligung von Kindern, Jugendlichen sowie schutz- oder hilfebedürftigen Erwachsenen. Es gelte daher, Konzepte für eine aktive und wirksame Beteiligung in der komplexen Organisation der Kirche und ihrer Einrichtungen zu entwickeln und zu erproben.
Als Vertreter der Auftraggeber der Studie dankte der Essener Generalvikar Klaus Pfeffer dem gesamten Forschungsteam, der Projektbegleitgruppe und allen, die in den beteiligten Bistümern die Erstellung dieser bundesweit bislang einmaligen Studie in der katholischen Kirche unterstützt haben. Dabei hob er als „besonders erfreulich“ die hohe Beteiligung vieler Menschen an der Online-Befragung hervor. „Etwas stolz“ mache es ihn aber auch, „dass es uns gelungen ist, als fünf – in vielerlei Hinsicht unterschiedliche – Bistümer ein gemeinsames Forschungsprojekt auf den Weg zu bringen“. Pfeffer: „Damit zeigen wir in Nordrhein-Westfalen, dass wir in der Kirche auch gut gemeinsam agieren können.“
Die positiven Botschaften der Studie dürften aber auf keinen Fall verdecken, „dass wir Lern- und Entwicklungsbedarf haben“, so Pfeffer weiter. „Uns interessieren deshalb ausdrücklich die Hinweise und Empfehlungen, die uns auf Lücken und Schwachstellen aufmerksam machen. Darum werden wir die Studie sehr ernst nehmen und in einem ersten Schritt durch eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe die konkreten Empfehlungen analysieren, um daraus konkrete Maßnahmen zu entwickeln und diese dann umzusetzen.“ Zugleich kündigte er an, die Studie in den NRW-Bistümern bekannt zu machen, um damit auch die Verantwortlichen vor Ort in den Pfarreien, Organisationen und Einrichtungen zu ermutigen, sich selbst damit auseinanderzusetzen und die eigene Präventionsarbeit kritisch zu reflektieren und weiterzuentwickeln. Pfeffer: „Der Kampf gegen sexualisierte Gewalt in unserer Kirche, aber auch in unserer gesamten Gesellschaft muss von uns allen gemeinsam geführt werden.“
Als „eine Bestätigung der engagierten Präventionsarbeit“ der fünf NRW-Bistümer wertete Katja Birkner, Präventionsbeauftragte des Erzbistums Köln, die Ergebnisse der Studie. „Wir werden uns mit der Studie intensiv auseinandersetzen und schauen, wo wir unsere Arbeit verbessern müssen.“ Die Erstellung der Studie sei auch für die Mitarbeitenden in den Präventions- und Interventionsstellen der Bistümer ein großer Kraftakt gewesen, so Birkner. Doch nun zeige sich: „Dieser Meilenstein hat sich gelohnt. Wir nehmen wahr, dass unsere Arbeit eine Bedeutung für die Verbesserung einer kirchlichen Kultur, für das kirchliche Engagement und für die Identifikation von Christen in dieser Zeit hat. Zudem fühlen wir uns bestätigt, Prävention gegen sexualisierte Gewalt einzufordern und mit anderen Institutionen und Fachverbänden weiter umfassend zu etablieren.“
Aus Sicht der Betroffenen forderte Karl Haucke die katholische Kirche auf, in der Präventionsarbeit nicht nachzulassen. „Das Thema sexualisierter Gewalt an Minderjährigen und Jugendlichen verbietet es uns, an irgendeiner Stelle der Entwicklungen innezuhalten“, betonte Haucke, der auch Mitglied der Projektbegleitgruppe der Studie war. Die Ergebnisse des Evaluationsprojektes zur Prävention seien eine Herausforderung, nun gelte es das neu Gelernte in die erforderlichen nächsten Schritte einzubringen. „Nur wenn wir bereit sind, unsere Vorgehensweisen immer wieder neu zu überprüfen, werden wir das Erleben Betroffener verstehen lernen und mit einer Neuorientierung in Haltungen und Strukturen darauf reagieren können.“
Die jetzt veröffentlichte Studie „Kann Prävention wirken?“ ist auf den Internetseiten der fünf nordrhein-westfälischen (Erz-) Bistümern abrufbar unter:
www.bistum-aachen.de
www.bistum-essen.de
www.erzbistum-koeln.de
www.bistum-muenster.de
www.erzbistum-paderborn.de