In einer Pressekonferenz zur Nennung von Tätern und mutmaßlichen Tätern sexualisierter Gewalt gegen Minderjährige und Schutzbefohlene hat Generalvikar Dr. Andreas Frick am Mittwoch, 18. Oktober 2023, die Kriterien dargelegt.
Vielen Dank für die Überleitung, lieber Bischof Helmut. Von meiner Seite darf ich mich auch noch einmal sehr herzlich für Ihr großes Interesse an einem Thema bedanken, das unsere Agenda seit Jahren bestimmt. Die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in unserem Bistum in den vergangenen Jahrzehnten. Diese Aufarbeitung ist kein Projekt, kein Marketing-Thema von Kirche, um verlorengegangenes Vertrauen wieder zurückzugewinnen, sondern sie ist ein Ausdruck unserer inneren Haltung. Ich selbst trage seit 2015 die Verantwortung als Generalvikar.
Es gilt für uns, die Perspektive der Betroffenen einzunehmen. Derzeit sind uns 267 Betroffene namentlich bekannt, die alle sehr unterschiedlich mit der Last umgehen, die sie zum Teil seit den 50er und 60er Jahren mit sich herumtragen. Diese Last prägt ihr Leben. Sie alle haben ein Recht darauf, dass wir uns in ihrem Sinne der Vergangenheit stellen.
Wir legen Ihnen heute die Kriterien für die Nennung von Tätern und mutmaßlichen Tätern dar, die wir in langen und intensiven Beratungen mit Medizinern, Psychologen und Juristen und anderen Fachexperten in den vergangenen Monaten geführt haben.
Der Bischof hat es bereits ausgeführt. Wir haben sach- und fachgerecht mit den unabhängigen Gremien, die seit mehr als einem Jahr die Aufarbeitung begleiten und kontrollieren, gesprochen, Argumente, auch alternative, die sich ausschließen, abgewogen und eine Entscheidung getroffen. Es gab also auch – das will ich an dieser Stelle eigens betonen - Bedenken. Bedenken, dass nicht alle Betroffenen es wirklich wollen, dass der Name ihres Täters in der Öffentlichkeit genannt wird. Auch Bedenken in der Unabhängigen Aufarbeitungskommission, in der die Bandbreite der Argumente von der Veröffentlichung aller Täternamen bishin zu einer gestaffelten Nennung reichten.
Dies alles sind Argumente, die wir abgewogen haben. Wir setzen uns nicht über diese Einwände leichtfertig hinweg, haben aber für uns als Bistum Aachen entschieden, dass wir als Institution Verantwortung übernehmen. Wir wollen das Dunkelfeld erhellen und Mut und Vertrauen schaffen, dass Verbrechen benannt werden können und müssen – auch wenn die meisten Täter und mutmaßlichen Täter verstorben sind. Wie Sie wissen, haben wir bereits in den vergangenen Monaten Namen veröffentlicht, wenn belastbare Hinweise eingegangen waren.
Wir orientieren uns bei der Nennung der Namen von Tätern und mutmaßlichen Tätern sexualisierter Gewalt gegen Minderjährige und Schutzbefohlenen an folgenden Kriterien.
Erstens nennen wir die Namen von Personen, die von staatlichen oder kirchlichen Gerichten einschlägig rechtskräftig verurteilt wurden. Dann sprechen wir von Täter.
Wenn mindestens ein Antrag auf Anerkennung des Leids vorliegt, der in Bezug auf die Person, die beschuldigt wurde, positiv beschieden wurde, dann sprechen wir von einem mutmaßlichen Täter.
Für beide Kriterien gilt: Der Täter oder mutmaßliche Täter ist seit mehr als zehn Jahren verstorben.
Diese Kriterien sind aus unserer Sicht belastbar, halten einer juristischen Prüfung stand und sind transparent. Auf der Basis dieser Kriterien haben wir 53 Personen identifiziert – 52 Priester und einen Laien. Wir hoffen, dass sich durch die Veröffentlichung von Namen weitere Betroffene jetzt aus dem Dunkelfeld heraustrauen, ihre Belastung, ihr erlittenes Leid nennen und bearbeiten können und dafür Unterstützung und Anerkennung des Leides erhalten.
Die Aufrufe enthalten die beruflichen Stationen der Täter und mutmaßlichen Täter und geben an, ob eine strafrechtliche/kirchenrechtliche Verurteilung vorliegt oder ein positiver Bescheid der Anerkennung des Leids. Wir haben vorab den Kirchengemeinden spezifische Informationen zur jeweiligen Person mitgeteilt, wo der Tatort bekannt und identifiziert ist. Die Namen werden auf der Website des Bistums unter www.bistum-aachen.de in alphabetischer Reihenfolge aufgeführt.
Uns ist klar, dass diese Veröffentlichung eine breite Resonanz in den Kirchengemeinden in unserem Bistum auslösen wird. Viele werden erschüttert sein, nicht wenige vermutlich die Vorwürfe erst einmal nicht wahrhaben wollen. Auch wir stehen immer wieder fassungslos davor, was in unseren Reihen passiert ist.
Wir kennen seit der Gründung bzw. Wiedererrichtung unseres Bistums im Jahr 1930 bis heute 126 Täter und mutmaßliche Täter.
Insgesamt waren in diesem Zeitraum 1290 Priester tätig. Jede Tat ist eine zu viel. Und wir haben bereits vor der Veröffentlichung des Gutachtens im November 2020 eine starke Prävention seit 2011 in all unseren Kirchengemeinden und Einrichtungen etabliert.
Wir erwarten eine sehr kontroverse Reaktion auf unser Vorgehen. Umso mehr stellen wir uns dem Dialog.
Ich darf Ihnen an dieser Stelle für Ihre Aufmerksamkeit danken und denke, Sie werden jetzt viele Fragen haben.