Einen weiteren Schritt in der Aufarbeitung hat Bischof Dr. Helmut Dieser im Rahmen einer Pressekonferenz am Mittwoch, 18. Oktober 2023, öffentlich gemacht. Um Betroffenen die Möglichkeit zu geben, aus dem Dunkelfeld herauszutreten, hat das Bistum Aachen die Namen von 53 Priestern - Tätern und mutmaßlichen Tätern – bekannt gegeben.
Guten Tag, sehr geehrte Damen und Herren,
auch von meiner Seite ein herzliches Willkommen.
Schön, dass Sie sich alle digital zugeschaltet haben!
Es ist nahezu drei Jahre her, dass wir das Unabhängige Gutachten zur sexualisierten Gewalt im Bistum Aachen durch die Münchener Kanzlei Westpfahl-Spilker-Wastl im November 2020 öffentlich entgegen genommen haben.
Das Gutachten legte schonungslos offen, welche systemischen Ursachen für den Missbrauch von Minderjährigen und Schutzbefohlenen über Jahrzehnte in der Vergangenheit in unserem Bistum wirkten.
Seitdem haben wir viele Aufgaben konsequent bearbeitet, Abläufe neu aufgesetzt und viele Maßnahmen umgesetzt: Die Priesterausbildung ist neu ausgerichtet worden, in allen Pfarreien und Einrichtungen des Bistums sind bestehende Schutzkonzepte konsequent im Einsatz und werden weiter fortgeschrieben und die Intervention und die Prävention werden weiter professionalisiert. Das sind nur einige Maßnahmen, mit denen wir im Bistum Aachen entschlossen agieren.
Wir übernehmen Verantwortung. Für die Verbrechen, die von Priestern an Minderjährigen und Schutzbefohlenen begangen wurden.
Wir übernehmen Verantwortung. Für die Aufarbeitung dieses dunklen Kapitels unserer Bistumsgeschichte.
Wir übernehmen aber auch Verantwortung, dass Betroffene vor einer Retraumatisierung geschützt werden. Sie müssen jederzeit die Hoheit über ihre eigene Biographie behalten.
Wir gehen nunmehr einen weiteren Schritt in der Aufarbeitung.
Wir veröffentlichen heute Namen von 53 Priestern - Tätern und mutmaßlichen Tätern - um Betroffenen die Möglichkeit zu geben, aus dem Dunkelfeld herauszutreten und die eigene Leidensgeschichte auf diesem Weg zu bearbeiten und hoffentlich zu einem Abschluss zu bringen.
Viele Betroffene haben in persönlichen Gesprächen mit mir ihre Erwartung zum Ausdruck gebracht, dass ihr eigener Fall weiter persönlich aufgearbeitet werden soll.
Viele drücken ihr Verlangen nach Gerechtigkeit aus, die darin besteht, dass der Täter und seine Taten nicht verschwiegen, sondern benannt und der Täter zur Rechenschaft gezogen wird.
Wir müssen aber auch davon ausgehen, dass es viele Betroffene gibt, die bislang nicht dazu fähig sind oder bereit waren, sich mitzuteilen und den Namen des Täters zu nennen.
Dafür habe ich, haben wir, tiefes Verständnis!
Es gibt ja nicht den Betroffenen oder die Betroffene!
Jeder oder jede geht auf ihre Weise mit der Leidensgeschichte um. Viele haben ihr Leid über Jahrzehnte von sich abgespalten und konnten nur so überleben.
Unter den Namen der mutmaßlichen Täter, die wir heute veröffentlichen, befindet sich auch der im Jahr 1986 verstorbene Weihbischof August Peters.
Ich verstehe, dass dies für viele ein Schock sein muss.
Wir machen für keinen mutmaßlichen Täter eine Ausnahme, ganz gleich, welchen Rang er zeitlebens einnahm.
Wir verbinden diese Nennung der Namen mit einem Aufruf an die Öffentlichkeit, uns weitere Informationen zukommen zu lassen, die der Aufarbeitung dienen.
Diesen Schritt tun wir nicht leichtfertig, sondern nach langem Abwägen und verbunden mit vielen flankierenden Maßnahmen.
Wir haben die Gremien, die uns begleiten und kontrollieren, mit einbezogen: den Ständigen Beraterstab, die Unabhängige Aufarbeitungskommission und den Betroffenenrat.
Wir haben intensiv beraten, weil es eine sehr komplexe Thematik ist. Viele Aspekte müssen berücksichtigt werden.
Auf der einen Seite Datenschutzrechte, die Unschuldsvermutung bei fehlenden Beweisen und die Gefahr einer Stigmatisierung, sofern sich ein Vorwurf im Nachhinein als unbegründet erweist.
Auf der anderen Seite stehen die Erwartung von Aufarbeitung und Gerechtigkeit.
Zudem wirkt die Nennung der Namen der beschuldigten Priester immer auch auf alle anderen zurück, die mit ihnen verbunden waren.
Nicht wenige reagieren persönlich tief verunsichert und entsetzt darauf, dass ein Priester, den sie in guter Erinnerung haben, als Täter beschuldigt wird.
Alle diese Belastungen und Erschütterungen gehören aber zur Aufarbeitung der Verbrechen sexualisierter Gewalt dazu. Sie bleibt nie nur den Betroffenen oder den eigens dazu bestellten Fachleuten überlassen, sondern bezieht alle mit ein.
Besonders dann, wenn jemand eigenes Wissen über einen Beschuldigten mitteilen kann.
Ich bin überzeugt: Wir arbeiten eine vergangene Epoche unserer Kirche auf. Heute blieben die Strategien der Täter, mit denen sie ihre Verbrechen anbahnen und wiederholt begehen konnten, nicht mehr unbemerkt und ohne Konsequenzen.
Wir anerkennen die Zuständigkeit der staatlichen Justiz und zeigen heute Beschuldigungen konsequent an. Im Anschluss an staatliche Rechtsprechung werden auch die kirchlichen juristischen Organe aktiv.
Unsere Präventionsmaßnahmen, unsere Interventionsregeln und die Veränderung unseres Bewusstseins über die verheerenden Folgen sexueller Gewalt können heute solche Verbrechen und ihre Vertuschung in unserer Kirche viel besser verhindern als in der Vergangenheit.
Wir alle dürfen aber nicht aufhören, wachsam zu sein: Sexueller Missbrauch an Minderjährigen und Schutzbefohlenen muss überall verhindert und angezeigt werden. Um dieses Bewusstsein zu stärken und zu vertiefen, bedarf es der weiteren Aufarbeitung der belasteten Vergangenheit. Von uns allen. Als Bischof übernehme ich die Verantwortung dafür.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!