Bischof Dr. Helmut Dieser hat am Sonntag, 1. Oktober, Diakon Philipp Fiala, in der Kirche Sant’ Ignazio zu Rom zum Priester und Alpár Kovács und Luka Jesenko zu Diakonen geweiht.
Liebe Weihekandidaten,
lieber Pater Rektor und alle Mitbrüder im geistlichen Amt,
liebe Eltern und Familien, Freunde und Weggefährten der Kandidaten,
liebe Schwestern und Brüder im Glauben,
fast immer ist es so: wer in sein Navi ein Reiseziel eingibt, bekommt mehrere Vorschläge für eine mögliche Route.
Meist wählen wir die zeitlich kürzeste.
„Was meint ihr?“, fragt Jesus die Hohepriester und die Ältesten des Volkes. Die Frage betrifft nicht einen günstigen oder einen weniger günstigen Weg, sondern: mit ihrer ganzen Einsicht und klarem Verstand sollen sie auswählen und benennen, wie ein Mensch den Willen Gottes erfüllt und wie nicht.
Jesus macht zwei Vorschläge in Gestalt von zwei Söhnen eines Vaters. Beide leben in dessen Haushalt. Beide haben auch keine andere Lebensgrundlage als eben diesen Weinberg des Vaters und die Erträge, die er abwirft. Beide kennen das Vierte Gebot des Dekalogs, heute sprechen wir vom Generationenvertrag. Im Weinberg des Vaters zu arbeiten, ist nicht nur vernünftig, nicht nur Kür, sondern für das an Sohnes statt angenommene Gottesvolk Pflicht.
Dennoch bittet der Vater beide mit den Worten: „Mein Kind, geh und arbeite heute im Weinberg!“
Und beide scheitern an allem: am Gebot, an der Pflicht, an ihrer Beziehung als Kind dieses Vaters.
Der erste sagt: „Ich will nicht!“
Wie lange er das durchhält und dabei bleibt, wird nicht gesagt.
Das Wort des Vaters: Geh, heute! kann zig mal in zig Variationen gefallen sein. Wochenlang, monatelang, ein Leben lang?!
So auch beim zweiten Sohn. Der sagt: „Ja, Herr“, doch er geht nicht in den Weinberg. Heute nicht und morgen auch nicht. Wochenlang, monatelang, ein Leben lang?! Vielleicht weiß er, wie er das ganz gut verstecken kann, welche guten Gründe er hat, immer neu anderes für wichtiger zu halten, bis der Vater, der Weinberg und die Bitte völlig verblassen.
Das Gleichnis hat die Sinnspitze, dass beides vorkommt und gelebt wird. Wie beim Navi die verschiedenen Routenvorschläge. Man kann so oder so durchs Leben gehen.
Allerdings: Ans Ziel führt hierbei nur ein Weg. Und das Ziel, das allein den Ausschlag gibt, lautet im Gleichnis: Wie also den Willen Gottes erfüllen? Oder anders: Wie in das Reich Gottes gelangen?
Darum erzählt Jesus von dem einen entscheidenden Unterschied zwischen den beiden Söhnen oder zwischen den beiden Wegen: Der erste Sohn gelangt nämlich irgendwann an eine sehr kritische Wegmarke. Der andere scheinbar nicht.
Diese Wegmarke entsteht durch ein plötzliches Misstrauen gegenüber seiner früheren Gewissheit: Es stimmt was nicht. Mein Navi führt mich in die Irre! Der Weg ist falsch. Es reut ihn, sagt Jesus.
Und das ist in ihm so stark, so ausschlaggebend, dass er ganz und gar entgegen seinem Selbstbild und seiner Selbstaussage doch in den Weinberg des Vaters zum Arbeiten geht.
Nur er hat den Willen des Vaters erfüllt!
Nur Menschen wie er gelangen in das Reich Gottes, und seien sie auch Zöllner und Dirnen.
Liebe Weihekandidaten, alles an unserem heutigen Fest könnte ganz wunderbar danach aussehen und danach klingen, als ob Sie und wir alle mit Ihnen uns heute vollkommen sicher sein könnten, wie der zweite Sohn zu sagen: Ja, Herr, von nun an jeden Tag, ja, ich arbeite in deinem Weinberg!
Seit der Taufe bin ich dein Kind, seit heute bin ich dein Diakon, für mein ganzes Leben bin ich dein Priester! Alles an dieser Feier unterstreicht das alles und macht es allen offensichtlich: das Taufkleid, die Dalmatik, das Messgewand, auch ich schließe mich mit ein: die Mitra, der Bischofsstab, der Ring: alles in der Liturgie und in der hierarchischen Organisationsform des kirchlichen Lebens und des Gottesdienstes strahlt dieses Selbstbild aus und bringt diese Selbstaussage zu Gehör: Ja, Herr, wir gehören ganz auf deine Seite! Wir bestellen deinen Weinberg und wir wissen, dass wir nur von ihm leben, und wir wollen das auch! Ja wirklich, Herr, wir wollen das auch!
Liebe Weihekandidaten, das Gleichnis Jesu an Ihrem Weihetag verlangt von Ihnen, sich darauf nie und nimmer zu verlassen: Nichts, was ich von mir selbst denke und sage, nichts was ich zustande bringe und vorweisen kann, schon gar nicht äußere Zeichen und Errungenschaften, Richtigkeiten und Anerkennungen können mich sicher machen, in das Reich Gottes zu gelangen und den Willen Gottes zu erfüllen.
Ich sage das so pointiert und so provozierend, weil in unserer Kirche gerade ein Priesterbild scheitert und völlig in Scherben liegt, das so konzipiert war und nicht nur von den Priestern, sondern auch vom Volk Gottes hochgehalten worden ist: der Priester ist erhaben über die niederen Antriebe, seine Weihe stellt ihn und seine Person ganz in die Sphäre Gottes - mehr als alle anderen. Und darum brauchen alle anderen ihn unbedingt und seinen Dienst, um nicht zu scheitern, um in das Reich Gottes zu gelangen.
Bitte, liebe Weihekandidaten, gehen Sie immer davon aus, jeden Tag neu, Ihr Leben lang, dass Sie immer beides in sich tragen, den ersten und den zweiten Sohn. Und dass es Gnade ist, wirklich Gnade durch und durch, das zustande zu bringen, was allein der erste Sohn schafft: trotz allem Verkehrten in seinem Leben erfüllt er den Willen seines Vaters.
Was dazu nötig ist, sagt Paulus: „in Demut schätze einer den anderen höher ein als sich selbst. Jeder achte nicht nur auf das eigene Wohl, sondern auch auf das der anderen. Seid untereinander so gesinnt, wie es dem Leben in Christus Jesus entspricht“.
Christus allein verbindet die beiden Söhne und ihre Wege zu einem: Denn er allein hat den Willen des Vaters ganz getan und nie ein gegenläufiges Wort über sich gesagt oder verfügt. Nichts diskreditiert Jesus als Sohn dieses Vaters!
Doch von ihm heißt es: Er entäußerte sich, das heißt: Seine Sohnes-Bindung an den Vater war ihm keinerlei Privileg mehr, sondern zum Sklaven wurde er, ja zum Gescheiterten, Verurteilten, Gehenkten am Kreuz. Doch das war äußerster Gehorsam, der allen gilt: dem Vater und seinen so wankelmütigen widerspenstigen Söhnen und Töchtern. Und durch diesen Gehorsam wurde er uns allen gleich.
Was immer in unserem Leben dran ist, was gelingt oder was verkehrt läuft, was uns froh macht oder was uns bedrückt: loslassen, hergeben, entäußern sollen auch wir es auf Gott hin um Jesu willen.
Denn nur er ist über alle erhöht, nur er trägt den Namen größer als alle Namen, damit dann doch alle im Himmel, auf der Erde, unter der Erde, Heilige, Irdische, Verstorbene, ins Reich Gottes gelangen: nicht weil ihr Leben unter dem Strich doch knapp ausreichend dafür war, sondern: weil sie ihre Knie beugen vor Jesus, dem Kyrios, und in ihm die ganze Ehre Gottes des Vaters erblicken, anerkennen und anbeten.
Priester und Diakon werden Sie heute, liebe Weihekandidaten, nur aus diesem Erhöhtsein Christi, das aber aus seiner Entäußerung für alle stammt: Das muss die Lebensgestalt Ihres geweihten Standes ausmachen!
In allem, was Sie sagen, tun und mit und für Menschen erreichen wollen, darf nichts aus Selbstbezug stammen, sondern alles aus Loslassen Ihrer selbst in das Herrsein Jesu hinein.
Nur in ihm ist der ganze Wille Gottes getan und erfüllt! Nur in ihm ist jeder Mensch schon ganz angenommen und gerettet. Nur in ihm schaffen Sie es, nicht an sich selbst zu scheitern und einem falschen Navi und trügerischen Selbstbild zu folgen.
Nur in ihm schaffen Sie es schließlich auch, Gott das letzte Wort zu lassen, wie Ezechiel es durchbuchstabiert: „Hört doch, ihr vom Haus Israel: Mein Weg soll nicht richtig sein? Sind es nicht eure Wege, die nicht richtig sind?“
Lassen Sie sich also wie der Prophet dreinreden, dreinreden von Gott: im Gebet, in der Betrachtung der Heiligen Schrift und in den Sakramenten, in der geistlichen Begleitung, im Hören auf das Wort der anderen, im geistlichen Deuten der Zeichen der Zeit.
Nur wer sich dreinreden lässt von Gott, kann ein guter Priester und ein guter Diakon für die anderen sein.
Und dafür brauchen Sie die ganze Kirche, das ganze Volk Gottes. Besonders die, die so anders sind als Sie selbst, vielleicht sogar die, auf die Sie herabschauen, weil sie Ihnen vorkommen wie die Zöllner oder die Dirnen, von denen Jesu spricht: Es könnte sein, dass Gott Ihnen gerade durch solche Menschen das rettende, wirklich zum Ziel führende Wort sagen will!
So sind Sie es, liebe Kandidaten, die ein neues Priesterbild entstehen lassen: Gott hat das letzte Wort, nicht der Amtsträger: Seien Sie Menschen, die danach lechzen, dass Gottes größere Weisheit sich zeigt!
Der Priester kommt nicht aus Überlegenheit zu den Menschen, sondern aus Einsicht in seine eigenen immer neuen Gefährdungen, gegen die nur seine Selbstaufgabe in Christus hilft.
Seien Sie also Menschen, die ausstrahlen, wie sehr Sie den Herrn lieben, weil er Sie liebt!
Der Diakon und der Priester dienen nicht einer Kirche, die eine eigene unerschütterliche Hoheit hat, sondern sie bauen daran, dass ein heiliger Leib lebendig wird, in dem Gott geehrt wird durch die Vielfalt und die Lebendigkeit und die gegenseitige Liebe der Vielen, die ihre Knie vor Gott beugen und Jesus als ihren Herrn annehmen.
Ja, es gibt die Kirche nur deshalb, weil Gott bereit ist, wie Ezechiel es erfährt, sie am Leben zu halten, weil sie es mit seiner Gnade in ihrer Geschichte immer wieder vermocht hat, von dem Unrecht umzukehren, das sie begangen hat, und neu nach Recht und Gerechtigkeit zu handeln.
Seien Sie Diakone und Priester einer Kirche, die erkannt hat, dass Sie die Sünden der Zöllner und Dirnen auch alle begangen hat, aber doch heute neu beginnt, Jesus zu sehen und ihm zu glauben.
Das macht uns auch für die Menschen der heutigen Generation zu einer Kirche, die sie lehren kann, Gott allein die Ehre zu geben und Jesus als ihren Herrn zu erkennen.
Und nur dieser Weg führt ins Reich Gottes. Amen.