Predigt von Bischof Dr. Helmut Dieser in der Osternacht, 3. April 2021

Datum:
Sa. 3. Apr. 2021
Von:
Stabsstelle Kommunikation

Die Corona-Epidemie erschüttert der Menschen Zuversicht, löst Zweifel an Politik und Wissenschaft aus und radikalisiert Teile der Gesellschaft. Tod und Leid stellt die geglaubte Machbarkeit fundamental in Frage. Der Streit um den besten Weg aus der Krise sei notwendig, unterstreicht Bischof Dr. Helmut Dieser in der Osternacht. „Und dennoch ist es keine Geschichte von schlimmen, bösen Mächten, die ihr Spiel mit uns treiben“, sagt er weiter. Ostern erinnere an eine ganz besondere Kraft, Hoffnung und Freiheitsdimension. In der Auferstehung Jesu bestätige sich die Erkenntnis aus dem Buch Genesis, dass die „Welt sehr gut“ sei. „Gott hat sich in Jesus ganz und gar auf uns eingelassen, er hat uns eingeholt, er hat sich unsere Fehler und Lasten aufgeladen und uns überholt im Geheimnis seiner Aufer­stehung.“

Predigt von Bischof Dr. Helmut Dieser in der Osternacht, 3. April 2021, 

in der Hohen Domkirche in Aachen; 

L1: Gen 1, 1.26-31a (Kurzfassung); L3: Ex 14, 15 - 15, 1; L5: Jes 55, 1-11; 

Ep: Röm 6, 3-11; Ev: Mk 16, 1-7.

 

Es gilt das gesprochene Wort

 

Liebe Schwestern und Brüder im Glauben, 

keiner weiß, wie lange die Corona-Pandemie noch dauert.

Und das ist im zweiten Jahr dieser Seuche und nach unzähligen Lock-Downs und wechselnden Impfstrategien immer schwerer zu ertragen.

Zwei Berufsgruppen haben es deshalb in der Öffentlichkeit momentan besonders schwer: die Virolo­gen und die Politiker. 

Die Einen können einfach keine Ent­warn­ung geben, sondern fordern viel härtere Maßnahmen bis zu Aus­geh­­sperren; die Anderen schwan­ken im Blick auf uns, das Volk, zwischen Zumutbarkeit und Locke­rungs­sehnsucht, zwischen Mutma­chen und Durchhalteappellen.

Meinungsforscher sagen: die Wissenschaftler und die Poli­tiker ver­lie­ren das Vertrauen der Menschen.

Doch haben sie das verdient?

Machen sie wirklich so viel falsch?

Darüber kann man streiten und das muss auch sein, denn der richtige und der bessere Weg können nur gemeinsam gefunden werden.

Machen Wissenschaft und Politik wirklich soviel falsch?

Doch Eines kann man der Wissenschaft und der Politik nicht anlasten: ihre Sichtweiten sind begrenzt.

Alles menschliche Wissen, Forschen, Erfinden und Ausprobieren bleibt innerhalb des Horizonts dieser Erde. Auch wenn wir längst das Welt­all erforschen, gar einen Planeten B suchen, so müssten die Le­bens­bedingungen dort ja gerade die sein, die hier auf dem Planeten A gelten, damit dort überhaupt je Menschen leben könnten.

Wir sind für diese Erde gemacht.

Stimmt das?

Wer dazu Ja sagt, aber nichts Anderes mehr gelten lässt, hat es schwer.

  • Müsste es dann nicht dringend die ideale Weltregierung geben, die endlich alles richtig macht?!
  • Müsste dann nicht dringend aufgeklärt werden, wer eigentlich was im Schilde führt und Schuld hat an all den Missständen und all dem Unerträglichen in der Welt? 
  • Und müssten dann nicht auch all die Wissenschaftler erst über einen Gesinnungs-TÜV gecheckt werden, ob sie denn wirklich nur der rei­nen Wissenschaft dienen und nicht doch irgendwelchen anderen Inter­es­sensgruppen?

Genau aus dieser Gemengelage gehen die sogenannten Verschwö­rungstheorien hervor, von denen sich in dieser Corona-Zeit Menschen erfassen lassen. Sie erzählen alle etwas davon, dass es gleich­­ge­sinn­te böse Minderheiten gibt, die ganz trickreich die große Mehrheit täu­schen, auf fal­sche Fährten bringen und daraus für sich selber Vorteile, Reichtum, Macht gewinnen und das unbesiegbar und auf unabsehbare Zeit, vielleicht end­gültig.

Was da erzählt wird, wird ernst genommen und geglaubt. Und es führt dazu, dass Menschen sich radikalisieren. Sie glauben an all das, weil sie das Unerklärliche und Ungewisse sonst nicht aushalten. Wo Wis­sen­­schaft und menschliche Machbarkeit keine schnelle Lösung anbie­ten, muss doch jemand schuld daran sein. Und zwar deshalb, weil wir doch nur diese Erde haben und nur uns selbst und nur dieses eine Le­ben - oder nicht?!

„Die Geschichte der Menschheit ist auch eine von Versagen, Gewalt und Leid, Schuld und Tod“

Das Osterevangelium erzählt davon, dass Frauen aus der Jün­ger­schaft Jesu ganz früh am Morgen, als eben die Sonne auf­ging, unterwegs sind zu seinem Grab.

Es ist dieselbe Sonne, die auch am Ende dieser Osternacht morgen früh wieder aufgehen wird. Dieselbe Sonne, über die wir aus dem Buch Genesis gehört haben: „Gott sah alles an, was er gemacht hatte: Und siehe, es war sehr gut“.

Damit beginnt eine ganz andere Geschichte. Es ist auch eine Ge­schichte vom Menschen und sie erzählt auch von Versagen, von Ge­walt und Leid, Schuld und Tod. Die kleine Auswahl der Lesungen aus der Bibel, die wir eben gehört haben, zeigt es zur Genüge.

Aber es ist nicht nur die Geschichte vom Menschen und seinen eige­nen Plänen, von seinen Gefährdungen und seinem Sterben­müs­sen. Sondern durch all das hindurch auch die Geschichte von Gott, der nicht weggeht, der mitgeht, der eingreift und rettet, der gute Wege an­bietet, der sogar verheißt, dass er selbst kommt und sich finden lässt. „Sucht den HERRN, er lässt sich finden, ruft ihn an, er ist nah!“, sagt der Prophet Jesaja.

Die Frauen am Ostermorgen tragen diese ganze Geschichte in sich. 

„Die Frauen auf dem Weg zum Grab haben etwas Unbeirrbares“

Und sie haben all das, was das Volk Israel seinem Gott zutraut, in Je­sus ge­fun­­den so nah wie sonst noch nie, Gott selbst in einem Men­schen, in ihrem Herrn und Meister, den sie lieben gelernt haben.

Die Frauen auf dem Weg zum Grab haben etwas Unbeirrbares in sich, deshalb gehen sie nach dem Sabbat in aller Herrgottsfrühe raus aus der Stadt zum Gol­go­tahügel, wo die Katastrophe sich ereignet hatte und Jesus am Kreuz elend sterben musste. Sie wollen an Jesus tun, was hier auf Erden noch möglich ist, den Leichnam herrichten, die Ver­wesung hinauszögern, um ihn weinen. Sie denken gar nicht so weit, wie sie überhaupt in das Grab hineingelangen können, denn der Abschluss­stein wäre viel zu schwer für sie.

Das Sterben Jesu, die schiere Katastrophe, hat doch Eines nicht in ih­ren bewirkt: dass ihre Seele umgeschlagen wäre in Bitterkeit und Trotz, in Auflehnung und Beschuldigungen, in Radikalisierung. Sie rechnen immer noch mit Gott - und suchen immer noch nach ihm.

Und genau darin werden sie über alle Maßen bestätigt.

Die Geschichte des Jesus von Nazaret, die Geschichte von Gott, der sein Volk nicht verlässt und sich finden lässt, die Geschichte von dem Sehr gut, ganz am Anfang, dem Gott treu bleibt, diese Geschichte geht weiter. Aber sie übersteigt jedes Menschenmaß.

Darum zuerst: „Erschreckt nicht!“, muss der Engel sagen. Wenn Gott sich finden lässt, ist beim Menschen zuerst alles zu klein und zu un­vor­­bereitet. Doch damit kommt Gott klar, er kann in unseren mensch­lichen Maßen sich finden lassen, ohne uns zu zerstören. „Ihr sucht Je­sus von Nazaret, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden; er ist nicht hier“. Und die Stelle, wohin man ihm am Abend des Karfreitags kurz vor Beginn der Sabbatruhe hastig hinge­legt hatte, die ist leer.

All das ist in dieser Einfachheit und Klarheit zuerst kaum zu fassen. Ist es Betrug, ist es eine Täuschung? Oder passt alles zusammen? 

Der Engel schickt die Frauen weg vom Grab. Sie sollen den Jüngern und dem Petrus das alles sagen. Und sie sollen sich auf den Weg nach Galiläa machen. Dort werden sie Jesus sehen, wie er es gesagt hat.

„Trotz Schreckens vertrauen die Frauen dem Engel“

Schwestern und Brüder, an dieser Stelle der Geschichte entscheidet sich alles. Die Frauen haben trotz des Schreckens, der ihnen in die Glieder gefahren ist, trotz der Flucht vom Grab weg schließlich doch dem getraut, was der Engel sagt. Sie wurden zu den ersten Oster­zeu­ginnen. Seitdem hat sich die Welt verändert. Denn die Geschichte des Glaubens an die ganze Wahrheit über diese Welt hat damals ihren Lauf begonnen. Und das Sehr gut vom Anfang kann nicht mehr aus den Angeln gehoben werden trotz all der Grenzen und Härten, die diese Welt bereit hält für jede Generation - auch für die fort­schritts­gläu­bige oder verschwörungsanfällige Generation unserer Corona-Zeit.

„Das Ende des Lebens bedeutet nicht mehr Tod und Grab, sondern Auferstehung“

Deshalb feiern wir Ostern nicht als bloße Erinnerung, sondern weil wir eintreten wollen in diese Geschichte des Glaubens. Es ist keine Ge­schichte von schlimmen bösen Mächten, die ihr Spiel mit uns trei­ben, sondern das Gegenteil: Gott hat sich in Jesus ganz und gar auf uns eingelassen, er hat uns eingeholt, er sich unsere Fehler und Lasten aufgeladen und uns überholt im Geheimnis seiner Aufer­stehung. Aber das nicht zu seinem, sondern zu unserem Vorteil, denn wir sollen da­hin kommen, wo der Auferstandene Christus schon ist: in dem Leben, das nicht mehr stirbt, das nicht mehr zugrundegeht an Leid und Schuld und Schmerz und Trauer. 

Wir feiern Ostern, weil wir auch in diesem Corona-Jahr davon einge­holt werden wollen, vielleicht sehnsüchtiger als sonst. Wir bekennen unseren Glauben und erneuern unser Taufversprechen, das bedeutet: Ich glaube, es ist wahr auch für mich: „Wir wurden mit ihm begraben durch die Taufe auf den Tod, damit auch wir, so wie Christus durch die Herrlichkeit des Vaters von den Toten auferweckt wurde, in der Wirklichkeit des neuen Lebens wandeln“, sagt Paulus.

Daran hängt, wie wir im Leben stehen, wie wir diese Corona-Zeit deuten und ob wir trotz Ungewissheit, Belastung und Trauer heraus­finden zur österlichen Freude: Ja, ich glaube, dass unser Leben in die­ser Welt sehr gut ist, weil es die­ses Ziel hat: gefunden zu werden von Gott, oder wie Paulus sagt: sich als Menschen zu begreifen, die für Gott leben in Christus Jesus. 

Ja, wir leben ein einziges Mal in dieser Welt. Doch das Ende heißt nicht mehr Tod und Grab, sondern Auferstehung: Lebensdurchbruch durch den Tod hindurch in das endgültige Sehr gut bei Gott hinein, das seine eigene Herrlichkeit ist für uns. Amen. Halleluja.