Predigt von Bischof Dr. Helmut Dieser an Ostersonntag, 4. April 2021

Datum:
So. 4. Apr. 2021
Von:
Stabsstelle Kommunikation

Was entscheidet? Beharrungsvermögen, Hemmung oder Begeisterung? Am leeren Grab spiegeln sich in Maria von Magdala, Petrus und einer geheimnisvollen Gestalt drei ganz unterschiedliche Haltungen zur Auferstehung Jesu, predigt Bischof Dr. Helmut Dieser am Ostersonntag. Die Rolle des Petrus, der zweifelt und sich schämt stehe auch für die Scham über die Missbrauchsverbrechen, über die Un­fä­hig­keit, aufrecht und wahrhaftig zu sein, über die Schwerfälligkeit auch all der Erneuerungsbemühungen in unserer Kir­che. Bischof Dieser erinnert zugleich an die Kraft des Apostels Paulus. „Schwestern und Brüder, folgen wir dem Bild, das der Apostel Paulus uns anbietet: ein wenig Sauerteig durchsäuert den ganzen Teig. Schafft den alten Teig weg: die Bitterkeit, die Bosheit, das Aufgeben­wollen, das Kämpfen um Vorherrschaft. Menschen, die nach vorne schau­en, die schon etwas leuchten sehen am Firmament, die an Refor­men glau­ben und helfen wollen, dass sie wahr werden.“

Predigt von Bischof Dr. Helmut Dieser an Ostersonntag, 

4. April 2021, Lesejahr B, in der Hohen Domkirche in Aachen 

L1: Apg 10, 34a.37-43; L2: 1 Kor 5, 6b-8; Ev: Joh 20, 1-9.

 

Es gilt das gesprochene Wort

 

Liebe Schwestern und Brüder,

wenn eine Firma ein Betriebsfest feiert, muss es einen guten Anlass und gute Bilanzen geben. Ein Jubiläum zum Beispiel und dann eine Fest­tagsrede, in der die Erfolge der Firma gepriesen werden und die weiteren Ziele, die darauf aufbauend möglich sind.

Wenn wir als Kirche darauf angewiesen wären, müsste Ostern in die­sem Jahr ausfallen. Schlechte Presse, massenhafte Kirchenaustritte, Ärger­­nisse im Inneren bis auf die Ebene der Chefetage und eine dunk­le Geschichte von Machtmissbrauch und Verbrechen an Kindern las­ten auf uns allen. 

Wir können Ostern beim besten Willen nicht feiern als Fest der Selbst­bestä­ti­gung und der daraus glänzenden Zukunftsaussichten.

Wie aber sonst?

Zuerst will ich sagen: Viele Gläubige spüren mit mir in diesem Jahr ganz besonders intensiv, dass Ostern auf gar keinen Fall ausfallen darf. Viele haben mir geschrieben mit der dringlichen Bitte, dass wir trotz Corona unbedingt Präsenzgottesdienste feiern müssen, indem wir uns streng an die Corona-Schutz­maßnah­men halten. 

Ja, das empfinde ich genauso. Ostern darf nicht ausfallen!

Wider die Depression und Trostlosigkeit

Zum Einen, weil wir sonst keinen Trost hätten in der Trostlosigkeit der Corona-Pandemie. Corona darf uns nicht vollkommen beherr­schen, so dass wir nichts mehr entgegenzusetzen hätten gegen die De­pression, gegen die Existenzängste, gegen all die Verluste und Aus­fälle, die besonders die Generation der Kinder und der Heran­­wachsen­den erleiden: Schulausfall, durchlöcherte und er­schwerte Ausbildungs­zeiten, eingeschränkte Freizeitmöglichkeiten und immer weniger Zu­sammensein mit den Gleichaltrigen. Das ist am schwer­sten für die, die erst ins Leben starten und so sehr zurückgeworfen werden.

Ostern muss uns Mut machen nicht aufzugeben, nicht irrational und zynisch zu werden.

Ja, das Wort des Ministers ganz am Anfang der Pandemie trifft ins Schwar­ze: Wenn das alles vorbei sein wird, werden wir uns viel zu ver­zeihen haben. Hilft uns Ostern dabei?

Hilft es uns, auch in der Kirche eine neue Blickrichtung zu gewinnen, woher denn ein Aufatmen kommen kann, eine Aussicht auf Ver­söh­nung und Neuwerden?

Beharrungsvermögen, Schwerfälligkeit und Glaube: Am leeren Grab zeigen sich unterschiedliche Haltungen

Das Fest führt uns direkt hinein in die Gründungsgeschichte der Kir­che, in die erste Generation. Im Osterevangelium des Johannes sind es drei Figuren der ersten Stunde, und sie stehen für drei Haltungen, drei Kräfte und Bewegungen, die es seitdem in der Kirche gibt.

  • Zuerst Maria von Mágdala. Sie steht für das Beharren trotz allem. Sie ist Jesus seit ihrer Bekehrung nicht mehr von der Seite gewichen. Sie war unter dem Kreuz, sie hat sein grausames Sterben miterlebt. Sie hat zugesehen, wie man Jesus ins Grab gelegt hat (Mk 15, 47). Und jetzt am frühen Morgen nach der Sabbatruhe kommt sie als Erste wie­der an das Grab. Sie lässt den Gedanken gar nicht zu, dass sie aufge­ben müsste. Sie sieht, dass das Grab offen steht. Sofort fällt ihr ein, den Ersten der Zwölf, Simon Petrus, zu informieren. Sie läuft auch zu dem anderen Jünger, der im Johan­nes­evangelium als der Lieblingsjün­ger Jesu erscheint. Sie zweifelt an keiner Stelle, dass es sinnvoll und ist, den Toten zu suchen, und sie drängt auch diese beiden dazu.
    Maria von Magdala steht für all die Frauen und Männer, die nicht auf­geben. Sie tragen in sich ein Reservoir an Dankbarkeit und Liebe, weil ihre Geschichte mit Jesus so hell und so unersetzlich ist.

    Dann kommen auch Petrus und der andere Jünger an das Grab.

  • Petrus ist schwerfällig. Er wird gehemmt und gelähmt, weil er sich schämt über seine Feigheit. Er hatte Jesus dreimal verleugnet. Seine hoch­fliegenden Bilder von sich selbst und seiner Bereitschaft Jesus zu folgen, waren jämmerlich geplatzt, schon als zum ersten Mal eine echte Gefahr an ihn heranschlich: Du bist doch auch einer von ihnen!
    Wir alle, Schwestern und Brüder, stecken mit in der Haut von Petrus. Auch wir schämen uns über die Missbrauchsverbrechen, über die Un­fä­hig­keit nicht Weniger, aufrecht und wahrhaftig zu sein, über die Schwerfälligkeit auch all der Erneuerungsbemühungen in unserer Kir­che. Und oft genug haben wir Grund, uns zu schämen über uns selbst.

  • Und dann der Dritte, das ist der Liebesjünger, eine geheimnisvolle Ge­­stalt im Johannesevangelium. Was dieser Jünger kann und tut, tritt seitdem im­mer und immer wieder hell zutage: Er ist ein­fach schnel­ler als Petrus. Er kann schon glauben, bevor Be­weise vor­liegen. Er sieht und glaubt. Doch er lässt Petrus den Vortritt. Denn Petrus ist trotz sei­nes Versagens der Erste der Zwölf, der für alle sprechen kann und muss. Auch diese Kraft des Lieblingsjüngers Jesu ist in der Kirche nicht ver­lo­ren gegangen. Sie ist in all den Menschen, die nach vorne schau­en, die schon etwas leuchten sehen am Firmament, die an Refor­men glau­ben und helfen wollen, dass sie wahr werden.

    Sie haben diese Kraft aber nicht aus sich selbst, sondern aus der Liebe Jesu. Sie wissen, dass die Liebe Recht hat und dass sie von Gott auch Recht bekommen wird. Darin sind sie unerschütterlich. Und deshalb werden sie auch nicht zynisch und nicht gewalttätig und lassen die Liebe zu Jesus und zu seiner Kirche nicht fallen.

Diese drei Kräfte und Haltungen laufen am Ostermorgen zusammen an das leere Grab. Dort werden sie allesamt auf das Härteste auf die Pro­be gestellt. „Sie hatten noch nicht aus der Schrift verstanden, dass er von den Toten auferstehen musste“, sagt der Evangelist.

Die Auferstehung Jesu also ist nicht von ihnen abhängig, sondern sie ist von Gott vorausgesagt und dann von Gott gewirkt worden.

Davon müssen sie alle drei Zeugen werden.

Der Fortgang der Evangelien erzählt, wie das gegangen ist.

  • Maria aus Mágdala darf als Erste den Auferstandenen Jesus sehen noch im Garten beim leeren Grab. 
  • Der Lieblingsjünger ist dabei, als Jesus bei verschlossenen Tü­ren kommt und erkennt ihn später erneut als Erster am See, als er sie auf­forderte, ihr Netz an Land zu ziehen. 
  • Und Petrus muss dreimal von Jesus gefragt werden, ob er Jesus liebt mehr als die anderen, dann erst sind seine Scham und sein Hadern mit sich selbst weg­ge­schmol­zen und er kann mit ganzer Kraft und Ge­wiss­heit der Erste der Apostel sein.

Heute hören wir ihn in der Lesung aus der Apostelgeschichte zum ersten Mal predigen: Gott hat Jesus „am drit­­ten Tag aufer­weckt und hat ihn erscheinen lassen […]: uns, die wir mit ihm nach seiner Auf­er­steh­ung von den Toten gegessen und ge­trun­­­ken haben. Und er hat uns ge­boten, […] zu verkünden und zu be­zeu­gen:“ Das „ist der von Gott eingesetzte Richter der Lebenden und der Toten. Von ihm bezeugen alle Propheten, dass jeder, der an ihn glaubt, durch seinen Namen die Vergebung der Sünden emp­fängt“.

Vor Gott steht jedes Menschenleben offen

Diese Osterpredigt des Apostels ist der Grund, warum wir heute Os­tern feiern: weil die Kirche zu allen Zeiten glauben darf an die Verge­bung der Sünden, weil es einen Rich­ter der Lebenden und der Toten gibt, Jesus, den Auferstandenen. Vor ihm steht jedes Menschenleben offen. Er kennt den Schmerz der Geschlagenen, der Missbrauchten und Getöteten. Er sieht in das jämmerliche Herz der Schuldigen und Beschämten. Er weiß auch, wer noch immer verhärtet und verstockt ist. Er ist ihr Richter, aber auch ihr Erlöser. Er vermag neue Wege zu weisen immer, in jeder menschlichen Situation. Von ihm kommt die Kraft zur Beichte, der Mut zum Neubeginn, zur Ver­söhnung, zur Re­form. Der Beweis dafür ist die Geschichte der Kirche selbst. Denn die drei Kräfte und Haltungen der ersten Zeugen sind ihr durch Jesu Auf­erstehung und durch das Wirken seines Geistes erhalten geblieben bis heute. Sie ist in 2000 Jahren Geschichte nicht zugrunde gegangen trotz all ihrer Krisen und Skandale.

Sie ist ungeschmälert der vom Geist erfüllte Raum, um Jesus zu be­gegnen, ihn lieben, ihm folgen zu lernen.

Ohne die Kirche würde ich Jesus nicht kennen. 

Durch die Kirche habe ich glauben gelernt an seinen Gott und Vater. In der Kirche komme ich dem Auferstandenen hautnah bis in die Be­rührung der Sakramente und der Nächstenliebe. 

Ich bin immer - zuerst und zuletzt - dankbar, dass ich katholisch bin!

Schwestern und Brüder, folgen wir dem Bild, das der Apostel Paulus uns anbietet: ein wenig Sauerteig durchsäuert den ganzen Teig. Schafft den alten Teig weg: die Bitterkeit, die Bosheit, das Aufgeben­wollen, das Kämpfen um Vorherrschaft. 

Aufrichtigkeit und Wahrheit empfiehlt uns Paulus stattdessen. 

Und daraus kommt die Freude, ja sogar der österliche Jubel. 

Denn Jesus ist wahrhaft auferstanden. 

Und die Freude darüber durch­säuert den ganzen Teig, so dass wir neuer Teig werden. Amen. Halleluja.