Handlungsperspektiven zu konkreten Handlungsformen schmieden

Silvesterpredigt von Aachens Bischof Dr. Helmut Dieser

Jahresschlussandacht mit Bischof Dr. Helmut Dieser (c) Bistum Aachen / Andreas Steindl
Jahresschlussandacht mit Bischof Dr. Helmut Dieser
Datum:
Di. 31. Dez. 2019
Von:
Stabsabteilung Kommunikation

Aachen, (iba) – In seiner Silvesterpredigt hat Aachens Bischof Dr. Helmut Dieser dazu aufgerufen, die aus der ersten Phase des „Heute bei dir“-Prozesses hervorgegangenen sechs Handlungsperspektiven in der nächsten Phase des Prozesses zu konkreten Handlungsformen weiter zu schmieden. „Damit ist gemeint: sechs Konzentrationen für unser künftiges Tun, wie wir in die Herausforderungen unserer Zeit hineingehen und mit den Menschen ins Gespräch kommen wollen“. Damit könnten gemeinsame Erwartungsräume aus der Kraft Gottes entstehen.

Viele Menschen fühlten sich heute unverstanden. Die Bandbreite reiche von einer Bewegung wie „Fridays for future“ bis zur populistischen Sehnsucht nach Größe, das eigene Land zuerst, damit es wieder groß werde. Es gebe zu Viele, die sich wie im Wartezimmer vorkämen, wo man auf unerklärliche Weise übergangen werde. „Darin liegt Sprengstoff für eine Gesellschaft. Darin liegt aber auch eine Herausforderung für uns als Kirche. Sind wir genügend im Gespräch mit den Menschen im Wartezimmer? Haben wir etwas anzubieten? Können wir etwas in Umlauf bringen, was das Gefühl des unnützen Wartens verändert?“ Er wolle in seiner Silvesterpredigt keine politische, sondern eine geistliche Antwort darauf geben. Die Zeichen der Zeit deuten heiße, sie gläubig deuten und das wolle er, so der Bischof, mit einem Blick auf die sechs Handlungsperspektiven.

Die erste Handlungsperspektive dreht sich um die Frage, wo und wie Menschen heute Gott begegnen können. „Orte von Gottesbegegnung“ sollen in den Blick kommen, sollen erhalten bleiben, sollen neu gedacht und entdeckt werden. Orte von Gottesbegegnungen seien überall. „Überall dürfen wir und wollen wir mit Gott rechnen, ihn suchen und erwarten, sein Wort sagen, seine Nähe spüren und staunen, ihn anbeten und mit ihm zusammen das Leben neu erkennen.“ Die erste Handlungsperspektive, Gottesbegegnung, sei die alles verändernde. Kein Leben bleibe nur ein Wartezimmer. Sie gebe jedem Menschen Platz und Bedeutung.

Die zweite Handlungsperspektive lautet „Haltung und Kommunikation“. Auch in unserer Kirche werde es als immer unerträglicher empfunden, wenn es unerklärliche Bevorzugungen gebe, Vorteile, Privilegien von Wenigen, die mehr zu sagen hätten, ohne zu verstehen, warum, sich selber für etwas Besseres halten. „All das nennen wir heute 'Klerikalismus', und er betrifft bei weitem nicht nur die geweihten Priester und Diakone, sondern kann auch alle anderen anstecken“, so der Bischof. In der zweiten Handlungsperspektive gehe es darum, „wie wir reden und handeln und dass wir viele Andere ansprechen und zusammenbringen wollen aus den Wartezimmern unserer Gesellschaft“.

„Christliche Verantwortung in der Welt“ lautet die dritte Handlungsperspektive. Niemals dürften wir uns einigeln in Kirche, Sakristei oder im Kreis der Leute, die schon oder noch dabei sind. „Caritas ist darum ein Name für Kirche, Kirche beim Einzelnen, Kirche als professionelles Handeln mit sich verbindender Kraft im Verband; Kirche bei denen, die ihr Brot erarbeiten auch in einer digitalisierten Welt, in der der Roboter und Künstliche Intelligenz den arbeitenden Menschen ersetzen, aber niemals seine Kreativität und Freiheit übernehmen können; Kirche bei den Unzähligen, die ihre Heimat verlieren wegen Armut oder Verfolgung; Kirche, die in die neuen Ängste vor dem Weltuntergang hineingeht und mit den Menschen nach dem sucht, was dran ist, dass wir es jetzt tun. Wenn das Klima sich wandelt, wenn die Arten sterben, wenn Landschaft und Heimatkultur weggebaggert werden, wenn die Schöpfung unter dem Industriemüll der Menschen stirbt.“

Die vierte Handlungsperspektive stellt die Jugend und die jungen Menschen in den Blickpunkt. Bischof Dieser: „Ich träume von einer jungen Generation, die beten lernt und mit uns Alten neu zu beten anfängt. Die glauben lernt und uns Alten neu von Gott erzählt. Die ihr Leben auf Gott gründet und sich Gott zur Verfügung stellt in kirchlichen Berufen, in der Ehe und in der Familie, in ihren Berufen, in der Nächstenliebe und ihrer ganzen Lebensgestalt.“ Die jungen Leute wirksam machen, das sei eine sehr notwendige Handlungsperspektive, die kein Luxus und kein Zugeständnis, sondern im gesellschaftlichen und im geistlichen Bereich der einzig gesunde Lebensrhythmus sei.

„Charismen, Leitung und Partizipation“ ist die fünfte Handlungsperspektive überschrieben. Charismenorientierung bedeute, dass die Kirche von unten entstehe und wachse, nicht durch Politik und Resolution, sondern durch das Wunder des „Gläubigwerdens und Antwortgebens der Menschen auf Gott in ihrem Leben.“ - „Wir brauchen eine neue Kultur der Leitung, viele sind beteiligt, vernetzt, ergänzen einander, schätzen die Gaben des Anderen, weil es Gottes Gaben sind.“ Vielfalt sei dann kein Stress, wenn unstrittig von allen geschätzt und festgehalten werde, was uns eine.

Die sechste Handlungsperspektive bildet das Scharnier zum Synodalen Weg der katholischen Kirche in Deutschland. Denn die vier Themen des Synodalen Wegen beträfen in Gänze auch unser Leben in der Kirche von Aachen, aber keine Teilkirche könne sie lösen ohne die anderen und ohne den Papst. Was auf dem Synodalen Weg geschehe, sei subsidiär zu unserem Bistumsprozess: „Wir müssen nichts davon hier in Aachen verdoppeln, wir nehmen an den Beratungen in Frankfurt mit unseren Erfahrungen teil und wenden die Frankfurter Erfahrungen auch auf unsere Verhältnisse an. Wir müssen gemeinsam wieder sicherer darüber werden, was eigentlich das Katholische ist bei diesen Fragen nach der Autorität und der Macht und der Beteiligung an Entscheidungsprozessen in der Kirche, was das katholische Menschenbild aussagt über die Größe und Schönheit und die Gestaltungsaufgabe der Sexualität des Menschen, was die Bedeutung des geweihten Priestertums ausmacht für das Gemeinsame Priestertum aller Getauften und wie es heute gelebt werden muss, schließlich wie Männer und Frauen unterschiedlich aber gleichrangig sein können im gesamten Leben der Kirche.“ Der Synodale Weg sei vielleicht ein sehr mühsamer und aufregender Weg. „Aber wir haben ihn bitter nötig“, betonte der Bischof. „Zuerst allein schon deshalb, weil wir damit die Aufarbeitung der Ergebnisse der MHG-Studie über den sexuellen Missbrauch in unserer Kirche weiter voranbringen.“

Um diese Handlungsperspektiven in der nächsten Phase des Prozesses „Heute bei dir“ umzusetzen, bedürfe es Mut. „Ja, wir werden Mut brauchen, konkret zu werden und uns anfänglich auf bestimmte Handlungsformen zu beschränken. Vieles, was neu wirksam werden soll, ist schon da, wurde zum Beispiel schon in früheren Bistumstagen und Prozessen formuliert. 'Heute bei dir' beginnt längst nicht bei Null, sondern darf auch ernten, was Andere schon geleistet haben.“

„Begreifen wir unseren Prozess 'Heute bei dir' und seine subsidiäre Verschränkung mit dem Synodalen Weg als geistlichen Weg, den Gott mit uns geht“, schloss Bischof Dieser seine Predigt. „Dann wird das neue Jahr für uns voll Erwartung und voll Segen sein.“  (iba / Na 085)

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