Aachen, (iba) – Mit einer Reihe von Maßnahmen reagiert Bischof Dr. Helmut Dieser zusammen mit Generalvikar Dr. Andreas Frick und der Leiterin der Hauptabteilung Personal Margherita Onorato-Simonis auf das am 12. November 2020 in Aachen vorgestellte unabhängige Gutachten zum Umgang Verantwortlicher mit Fällen sexualisierter Gewalt durch Kleriker des Bistums. Konkrete Maßnahmen werden eingeleitet, weitere Schritte geprüft.
Im Rahmen einer Pressekonferenz, die per Live-Stream aus Aachen übertragen wurde, stellte die Bistumsleitung die ersten Reaktionen auf das am Donnerstag, 12. November, veröffentlichte unabhängige Gutachten der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl zu sexualisierter Gewalt durch Kleriker im Bistum Aachen in den Jahren 1965 bis 2019 vor. Neben bereits umgesetzten sowie geplanten Maßnahmen der Aufarbeitung stünde vor allem ein Perspektivwechsel und Kulturwandel mit Blick auf die Betroffenen an.
Wechsel zur Betroffenenperspektive entscheidend
Bischof Dieser betonte in seinem Statement, dass ein grundlegender Perspektivwechsel entscheidend sei: Ziel der Aufarbeitung müsse sein, “dass wir helfen können, und zwar im Blick auf die Betroffenen oder wie sie selber sagen ‘die Überlebenden des Missbrauchs’, dass die systemische Wahrheit, die dazu geführt hat, dass sie sich selbst überlassen blieben, geltend gemacht wird. Sie ist ein Teil der schwer verletzten Biographien der Betroffenen.” Auf Grundlage dieser Wahrheit könne eine Atmosphäre entstehen, “in der die tiefen Wunden eine Chance haben, heilen zu können. Damit ist das Gutachten nur ein erster Schritt der Aufarbeitung, weitere müssen folgen”, so Bischof Dieser. Die Perspektive der Betroffenen sei in der Vergangenheit “schmerzlich unwirksam” geblieben. “Was wir als Kirche in der Vergangenheit getan haben, um Opfer wirklich zu schützen und für sie zu sorgen, war zu wenig, es war nicht angemessen”, betont der Aachener Bischof. Auch deshalb wolle er den Dialog mit Betroffenen suchen: ”Ich stehe Betroffenen für ein Gespräch zur Verfügung, wenn sie dies möchten.
Wandel hin zu einer Kultur des Hinsehens und Überwindens von Klerikalismus
Es geht um einen Kulturwandel auf verschiedenen Ebenen. Dies beginne damit, die vielfältigen Formen von Klerikalismus zu erkennen und zu überwinden, so Bischof Dieser. Fortan dürfe man sich nicht mehr den Priestern enger verbunden fühlen als den Betroffenen: „Die Weihe und das geistliche Amt schützen nicht vor Haftung und vor Ahndung“. Zudem gehe es darum, als Kirche „resonanter“ zu sein, und nicht als erstes zu wissen, was für die Menschen zu gelten habe.
Die Bistumsleitung sieht die Notwendigkeit eines Kulturwandels: „Ich glaube, dass es auch im gesamtgesellschaftlichen Bewusstsein noch nicht angekommen ist, dass der Fokus jetzt auf dem Schutz der Betroffenen liegt. Mit Bischof und Generalvikar wollen wir eine Kultur des Hinschauens und zwar ohne Rücksicht auf kirchliche Hierarchien“, unterstreicht die Leiterin der Hauptabteilung Personal, Margherita Onorato-Simonis. Als Leiter der Verwaltung des Bistums bekam Generalvikar Andreas Frick „nach fünfeinhalb Jahren im Amt schmerzhaft vor Augen geführt, wo ich genauer hätte hinschauen müssen.“ Die Verwaltungsarbeit habe sich seitdem schon geändert; sie solle sich weiter ändern im Sinne einer Kultur der Achtsamkeit.
Weitere Schritte zur Aufarbeitung
Erste Konsequenz soll die Gründung eines Betroffenenbeirats sowie die Einrichtung einer unabhängigen Kommission sein, die der Bistumsleitung auf Augenhöhe gleichberechtigt gegenüberstehen und eine Aufarbeitung im Sinne der Betroffenen aktiv begleiten sollen. Auch die überarbeiteten Richtlinien zur Anerkennung von Leid, basierend auf dem gemeinsamen Beschluss der Deutschen Bischofskonferenz, sollen ab dem 1. Januar 2021 konsequent im Bistum angewendet werden. Zudem werde man proaktiv auf Betroffene zugehen, damit diese schnell und unkompliziert die vorgesehenen finanziellen Leistungen erhalten. Auch die Personal- und Aktenführung werde zurzeit auf einen modernen Standard gebracht und Mitarbeitende ausdrücklich dazu aufgefordert, kritische Punkte zu benennen sowie gemeinsam zu besprechen. „Wir gehen jedem Hinweis nach!“, so Frau Onorato-Simonis.
Weitere Hinweise erbete man sich nicht nur von internen Mitarbeitenden, sondern auch von Betroffenen: „Melden Sie uns erfahrenen Missbrauch“, bittet Bischof Dieser. Hierfür habe man zum einen eine eigene Homepage eingerichtet. Unter www.missbrauch-melden.de erhalten Betroffene die Gelegenheit, Missbrauchsfälle durch Kleriker und kirchliche Mitarbeitende des Bistums zu melden. Eine eigens eingerichtete Hotline (0241-452 225) bietet bis Freitag, 20. November 2020, zudem die Möglichkeit, via Telefon Kontakt aufzunehmen. Alle relevanten Informationen zur Aufarbeitung von Missbrauchsfällen stehen der Öffentlichkeit außerdem transparent auf der Homepage des Bistums unter www.bistum-aachen.de/aufarbeitung zur Verfügung.
Über weitere Schritte und Ergebnisse der nun anstehenden Beratungen in den diözesanen Räten möchte man im Januar 2021 der Öffentlichkeit Rede und Antwort stehen. Bis dahin werde man das Gutachten noch wiederholt lesen. Denn dieses sei “der Anfang einer systematischen Aufarbeitung, nicht deren Ende”, wie Generalvikar Frick betonte.
Zum Hintergrund:
Das Bistum Aachen hatte im Anschluss an die 2018 veröffentlichte MHG-Studie die Rechtsanwaltskanzlei Westpfahl Spilker Wastl (München) im Juni 2019 mit der Untersuchung von Fällen sexualisierter Gewalt durch Kleriker im Bistum Aachen beauftragt. Das unabhängige Gutachten „Sexueller Missbrauch Minderjähriger und erwachsener Schutzbefohlener durch Kleriker im Bereich des Bistums Aachen im Zeitraum 1965 bis 2019” wurde auf einer Pressekonferenz der Kanzlei am 12. November 2020 in Aachen veröffentlicht. (iba/Na 066)