Auch wenn der NRW-Dialogempfang zwischen Christen und Muslimen jedes Jahr auf der Agenda steht und eines der katholischen (Erz-)Bistümer hierzu einlädt, hatte das Zusammentreffen in der Bischöflichen Akademie unter dem Leitgedanken „Geschwisterlichkeit aller Menschen“ angesichts der Lage im Nahen Osten eine ganz besondere Aktualität. Gemeinsam mit der Vorsitzenden der Christlich-Islamischen Gesellschaft, Dunya Elemenler, sprach Bischof Dr. Helmut Dieser im Rahmen der Veranstaltung ein multireligiöses Friedensgebet und wies in seiner Begrüßungsrede darauf hin, dass der Dialog nun wichtiger denn je sei.
„Wir erleben Ausbrüche von Hass und Gewalt, die uns erschrecken, die uns beschämen und die uns die Sprache verschlagen können.“ Und Dunya Elemenler ergänzte: „Ich spüre eine Ohnmacht, die ich nicht in Worte fassen kann.“ Dennoch könne niemand einfach so weitermachen, weil das Schweigen die Menschen nur noch mehr auseinandertreibe. „Jetzt geht es darum, sich für den Frieden und das Miteinander aller einzusetzen.“ Bischof Dieser betonte zudem, dass „unser Dialog eine Chance hat, weil wir den Ausbruch von Terror, Gewalt und Krieg als Niederlage empfinden und uns nach Frieden sehnen, der sich mit der Gerechtigkeit verbindet. Auch das Leid der Menschen in Gaza muss deshalb beständig angesprochen, angeklagt und vermindert werden. Das Existenzrecht Israels muss genauso anerkannt werden wie das Recht des palästinensischen Volkes auf eine eigene Staatlichkeit.“
Als Grundlage des gemeinsamen Dialogs zwischen Christen und Muslimen diente das von Papst Franziskus und Großimam Al-Tayyeb im Jahr 2019 unterzeichnete Dokument von Abu-Dhabi über die „Geschwisterlichkeit aller Menschen“. „Gott hat alle Menschen mit gleichen Rechten, gleichen Pflichten und gleicher Würde geschaffen,“ steht dort geschrieben. Deshalb wünschte sich Bischof Dr. Helmut Dieser, dass dieses Dokument einen wichtigen Impuls für die gemeinsame Dialogarbeit einnehmen sollte. Eine kurze Einordnung in dieses Thema gab Professor Dr. Klaus von Stosch von der Universität Bonn.
Als ein Grundübel unserer Zeit identifizierte der Theologe eine Polarisierung oder gar eine Dämonisierung des Gegenübers, durch die Meinungsverschiedenheiten nicht mehr diskursiv ausgetragen würden. „Wir sind in einer Situation, in der wir vor allem unser eigenes Leid wahrnehmen und einfordern, dass die anderen es sehen,“ so von Stosch. Als Gegenentwurf lade das Dokument von Abu Dhabi dazu ein, „uns alle als Geschwister zu sehen und auch das Leiden des anderen zu betrachten“. Deshalb heißt es im Vorwort: „Der Glaube lässt den Gläubigen im anderen einen Bruder sehen, den man unterstützt und liebt.“ In seiner Konsequenz ruft die gemeinsame Erklärung „zur Versöhnung und zur Brüderlichkeit unter allen Glaubenden, besser noch unter Glaubenden und Nicht-Glaubenden, sowie unter allen Menschen guten Willens auf“. In diesem Sinne appellierte Professor Klaus von Stosch an eine Kultur des gegenseitigen Respekts. Es solle kein politischer Streit darüber entstehen, wer das Schlimmere zu erdulden habe und wer mehr leide, sondern ein Klima, „in dem wir lernen, die Leiden des Anderen zu sehen und den Hass, der dadurch entsteht, zu überwinden.“ Einen weiteren wichtigen Meilenstein auf dem Weg hin zu einem gemeinsamen Religionsverständnis fasste der Theologe unter die Überschrift „Mehr Ambiguität wagen“, also das Aushalten unterschiedlicher Sichtweisen bei gemeinsamen Formeln und Riten, zusammen. Auch der Koran lasse mehrere Lesarten zu, die es auch Christen erlauben, hier durch das Wort Gottes angesprochen zu sein. Unter der Voraussetzung, dass der Kern – nämlich der Glaube an den einen Gott – gewahrt bleibe.
Begleitet von der Musik des gebürtigen Iraners Sasan Azodi und einem gemeinsamen Essen blieb im Anschluss an den Empfang noch genügend Zeit für den gegenseitigen Austausch.