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32. Sonntag im Jahreskreis C // zum Evangelium

Datum:
Fr. 4. Nov. 2022
Von:
Annette Jantzen

„Wenn eine Frau sieben Männer hatte, wessen Frau ist sie dann nach der Auferstehung?“ Eine Frage in einem innerjüdischen Dialog – zwei Parteien stehen sich gegenüber: die eine, vertreten durch namentlich nicht näher bezeichnete Sadduzäer, die die Vorstellung einer Auferstehung der Toten absurd findet, und die andere, vertreten durch Jeschua aus Nazareth, für die der Glaube an die Gottheit Israels bedeutet, dass man auf eine Auferstehung der Toten hoffen darf. Man diskutiert mit Praxisbeispielen und Schriftzitaten, wie es der religiösen Kultur entspricht. Die Praxisbeispiele werden dabei mitunter, und eben auch hier, auf die Spitze getrieben, um an die Grenzen eines Lehrsatzes zu kommen und dessen Aussage am Extrembeispiel zu testen.

Im Christentum lesen wir diesen Dialog oft mit Vorannahmen: die Frage sei unfair gestellt gewesen, die Absicht der Fragenden unlauter, man habe Jesus – so heißt er bei uns ja – vorführen wollen. Dabei gab es weder zur Zeit, in der das Gespräch stattgefunden haben könnte, noch zur Zeit, als es aufgeschrieben wurde, eine solche Spaltung, die feindliche Absichten nahelegen würde. Wenn wir uns auf die vermeintlichen Absichten der als Gegner Jesu dargestellten Gruppen fokussieren, dann entgeht uns aber dafür etwas anders. Vielleicht bemerken wir es auch deswegen nicht, weil es auch heute noch so selbstverständlich ist: Hier diskutieren Männer am Beispiel einer Frau. Wem gehört die Frau?, ist die finale Frage. Das Motiv der mit sieben Männern hintereinander verheirateten Frau ist zeitgenössisch sprichwörtlich, es begegnet uns im Buch Tobit genauso wie beim Dialog Jesu mit der Samaritaterin am Jakobsbrunnen. Und doch scheint es mir einen Blick wert zu sein auf die Selbstverständlichkeit, mit der die Dialogpartner es anführen und noch mehr auf die Selbstverständlichkeit, mit der wir es heute noch akzeptieren. „Wem gehört die Frau?“ ist die Frage. Man könnte ja, mindestens, die Frage umgekehrt stellen: Welcher von den sieben wird im Himmel der Ehemann dieser Frau sein?

Wir haben im Christentum wenig Übung in der Überlieferung von Streitgesprächen, denn bei uns wird meistens nur die Stimme derer überliefert, die als Sieger aus einer Auseinandersetzung hervorgegangen sind, oder die eine Richtung vertreten haben, die im Nachhinein als wahr und bedeutsam anerkannt wird. Die übrigen gehen im Meer des Vergessens unter - das ist ein deutlicher Unterschied zur jüdischen Erinnerungspraxis. Im Meer des Vergessens gehen auf diese Weise auch alle Stimmen unter, denen so wenig Bedeutung beigemessen wird wie der Perspektive der Frau im Dialog des Sonntags, wie ihn Lukas erzählt.

Selbst das wichtigste christliche Zeugnis läuft Gefahr, als Weibergeschwätz abgetan zu werden, wenn es nicht von einem Mann gegeben wird, und auch Frauen, an deren Bedeutung man in der Kirchengeschichte einfach nicht vorbeikommt, werden schlicht überhört, wenn sie eine religiöse Unkultur beklagen, die „starke und zu allem Guten begabte Geister zurückstößt, nur weil es sich um Frauen handelt“ (Teresa von Avila). Wenn man gar nicht damit rechnet, dass eine Frau eine Stimme haben könnte, dann kann man das Gesprächsteilnehmern kurz nach der Zeitenwende nicht vorwerfen. Im Jahr 2022 ist es aber ein massives Problem. Um glaubwürdig von Auferstehung zu sprechen, braucht es unüberhörte Frauenstimmen.

In einer leicht gekürzten Fassung erstveröffentlicht als Leitartikel im Christ in der Gegenwart, Ausgabe 45/2022

 

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