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26. Sonntag im Jahreskreis B // zur ersten Lesung

Datum:
Do. 26. Sept. 2024
Von:
Annette Jantzen

Und Gott stieg hinab in einer Wolke, redete mit ihm und nahm von dem Geist, der auf ihm lag, etwas zurück und gab es auf die 70 Ältesten. Und es war, als sich der Geist auf sie niederließ, da gerieten sie in Ekstase und hörten dann auf. Aber es waren zwei Männer auf dem Zeltplatz zurückgeblieben. Der Name des einen war Eldad und der Name des anderen Medad. Auch auf sie ließ der Geist sich nieder – sie standen zwar auf der Liste, waren aber nicht mit hinausgegangen zum Zelt, daher gerieten sie auf dem Zeltplatz in Ekstase. Da lief ein Knabe herzu und meldete es Mose: »Eldad und Medad sind in Ekstase auf dem Zeltplatz!« Da antwortete Josua ben-Nun, der Mose seit seiner Jugend assistierte: »Mose, mein Herr, halte sie zurück!« Aber Mose sagte zu ihm: »Bist du etwa meinetwegen eifersüchtig? Wer gäbe es, dass das ganze Volk in prophetischer Ekstase für Gott sei, weil Gott ihren Geist auf sie gelegt hat!«

(Buch Numeri, Kapitel 11, Verse 25-29)

In dieser Lesung erfüllt Gott Mose dessen Bitte, die heilige Geisteskraft auf andere Menschen zu legen, da er, Mose, das Volk nicht mehr alleine durch die Wüste führen könne. Und weil die gesamte Geistkraft Gottes schon auf Mose lag, nimmt Gott etwas davon wieder herunter und verteilt sie auf die 70 Ältesten - was für eine anrührende Vorstellung. Zugleich ist die Geistkraft Gottes durchaus anarchisch unterwegs, denn sie kommt auch auf die, die den Ruf aus dem Lager hinaus verpasst hatten: Diese beiden letzten gehen nicht leer aus. Aber Josua, der als politischer Leiter des Volkes Moses Nachfolger werden wird, ist nicht einverstanden mit dieser Anarchie. Er ist allerdings auch selbst kein Geistträger als prophetisch begabter Mensch, sondern bekommt statt dessen die Weisheitsbegabung und mit ihr das politische Leitungsamt (Dtn 34,9). Diese Ämtertrennung von Prophetie und politischer Leitung wird in der folgend erzählten Geschichte durchgehalten: Als Saul König wird, verlässt ihn die prophetische Gabe der Vermittlung   zwischen Gott und Volk. 

Nun könnte das das Ende der Geschichte sein: Mose, eine Gestalt, wie es keine mehr geben wird, hat Gott um Entlastung gebeten, und Gott hat - wenn auch auf eigenwillige Weise - eine Ordnung gegeben, bei der die Ältesten - ausdrücklich ausschließlich Männer - die prophetische Gabe weitertragen. Aber die Formulierung der Hebräischen Bibel geht weiter. Sie kennt nach der Tora - den fünf Büchern Mose, die unveränderliche gute Weisung - die Propheten, und sie teilt diese in die vorderen Propheten, die in der christlichen Bibel als Geschichtsbücher gelten, vom Buch Josua bis zum zweiten Buch der Könige. Danach kommen die hinteren Propheten, und beide Teile gelten als Auslegungen der Weisung, als Anwendung der unveränderlichen Tora in der sich dauernd verändernden Geschichte. Die vorderen Propheten sind interessanterweise von Prophetinnen gerahmt: Den Anfang als Prophetin in der Nachfolge des Mose macht Debora im Buch der Richter, in deren Tradition Jesus steht, wenn er wie Debora auf den Tabor steigt. Den Schluss bildet Hulda im Zweiten Buch der Könige. Dort ist sie diejenige, zu der König und Oberpriester gehen, um die Echtheit der gefundenen Schriftrolle mit den 10 Geboten prüfen zu lassen: Das Amt der Prophetin ist den Ämtern von Priester und König klar übergeordnet. Beide Frauengestalten, Debora wie Hulda, werden in der katholischen Leseordnung übrigens weggelassen, Hulda sogar sorgfältig aus dem Text herausgeschnitten, so dass dieser Teil biblische Ämtertheologie zensiert wird: Im verstümmelten Text der 1. Lesung am Mittwoch der 12. Woche im Jahreskreis, Jahr II sind nämlich ausschließlich Priester und König die agierenden Amtsinhaber. Das muss man sich auch erstmal trauen, derart in den Text einzugreifen, das die biblische Funktion der Prophetie eliminiert wird. Und auch die Wahrnehmung von Prophetie als Männersache ist ein Resultat der Kirchengeschichte, nicht der biblischen Theologie.

Aber auch das Amt der Prophetie als Begabung einzelner herausgehobener Personen kommt an sein Ende, und das ist kein Niedergang, sondern eine gigantische Hoffnung. Das Buch Joel im Zwölfprophetenbuch, das zu den hinteren Propheten gehört, schreibt nämlich die Geschichte von Numeri 11 fort: "Danach wird es geschehen, dass ich meine Geistkraft auf alles Fleisch ausgieße. Eure Söhne und Töchter werden prophetisch reden, eure Alten werden Träume träumen und eure jungen Leute Visionen haben. Auch über die Sklaven und Sklavinnen werde ich in jenen Tagen meine Geistkraft gießen."  (Joel 3,1-2) 

Der Stoßseufzer des Mose, dass das ganze Volk prophetisch begabt sein solle, wird hier aufgegriffen und als sich erfüllend geglaubt und erhofft. Die alten Männer sind nicht das Ende der Geschichte. Die Prophetie Einzelner und die hierarchische Ordnung der Gemeinde werden nicht mehr gebraucht, weil das Volks selbst die prophetische Figur wird. Die Prophetie wird demokratisiert, und sie schließt dann auch Frauen und junge Leute ein, die in den bislang geltenden Strukturen, die nachvollziehbar die patriarchale Gesellschaftsordnung wiederspiegeln, an den Rand gedrängt wurden. Alle, Junge wie Alte, Frauen wie Männer, werden prophetisch reden, träumen und Visionen haben, also alle möglichen Formen wahrer Prophetie ausüben, und sie werden damit zur Hoffnung für alle Menschen. Sogar die Menschen mit dem geringsten gesellschaftlichen Stand sind hier auf Augenhöhe, nämlich die weiblichen versklavten Menschen. Die hebräische Bibel hebelt damit selbst das Traditionsargument für das höchste aller Ämter aus. Sie widerspricht der Konzentration auf Kult und Priesterschaft, und sie widerspricht der Sakralisierung einer Ordnung der alten Männer. Sie hat keine Angst vor der Demokratisierung, und als sie als Komposition als Ganze zur geheiligten Schrift des entstehenden Judentums wird, verzichtet sie komplett auf die Mittlerfunktion zwischen Gott und Volk. Diese Mittlerfunktion wird nicht mehr gebraucht, weil Gottes Geist auf alle herabkommt, so wie es Mose ersehnt hat.

In dieser Tradition steht auch Jesus, der ja auch keine neue Institution, keine Strukturen und keine Ämter gründet, sondern aus der Gegenwärtigkeit Gottes lebt und für Unterbrechungen in den Abläufen der sozialen Ordnung sorgt - Unterbrechungen, die Menschen frei machen, Gottes Wirken in ihr Leben zu lassen.

Bald ist Weltsynode. Wie wird es da wohl um die Nachordnung des Priesteramtes stehen, um die Demokratisierung und um den Verzicht auf die Vorstellung, es bräuchte Mittler zwischen Gott und Volk? Die hebräische Bibel sagt: Träumen ist erlaubt und heißt, Gottes Träume mitzuträumen.

In Dankbarkeit für meine großartige Lehrerin, Professorin Irmtraud Fischer, empfehle ich zum Weiterlesen ihr Buch "Gotteskünderinnen. Zu einer geschlechterfairen Deutung des Phänomens der Prophetie und der Prophetinnen in der Hebräischen Bibel", Stuttgart 2002.

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