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23. Sonntag im Jahreskreis B // zum Evangelium

Datum:
Fr. 6. Sept. 2024
Von:
Annette Jantzen

Am 23. Sonntag im Jahreskreis B wird weiter aus dem Markus-Evangelium gelesen, diesmal  aus dem 7. Kapitel die Verse 31 bis 37:

Aus der Gegend der Hafenstadt Tyrus kommend ging Jesus durch Sidon an den See von Galiläa mitten in das Gebiet der zehn Städte, der Dekapolis. Da brachten sie ihm einen Menschen, der taub war und nur mit Mühe sprechen konnte. Sie baten ihn, dass er ihm die Hand auflege. Jesus nahm ihn beiseite, weg von der Menschenmenge, drückte seine Finger in seine Ohren und berührte seine Zunge mit Spucke. Dann schaute er in den Himmel auf, seufzte und sagte zu ihm: »Ephata«, das heißt: »Öffne dich!« Sofort wurden ihm die Ohren geöffnet, die Fessel seiner Zunge löste sich, und er redete verständlich. Jesus gab ihnen die Anweisung, niemandem davon zu erzählen. Aber je öfter er ihnen dies befahl, umso mehr verkündigten sie es. Überwältigt sprachen sie: »Gut hat er alles gemacht. Die Tauben verwandelt er in Hörende und Stumme in Sprechende.« 

Hier erfahren Menschen die heilsame Nähe Gottes durch die Präsenz Jesu. Und sie kleiden diese Erfahrung in die so vertrauten Hoffnungen ihrer prophetischen Schriften: Dass die Stummen gehen, die Blinden sehen, die Lahmen gehen. Die Leseordnung sieht darum auch einen entsprechenden Abschnitt aus dem Buch Jesaja, Kapitel 35 vor, in der dieses Heilwerden in eine Reihe gestellt wird mit der wunderbaren Erfahrung des explosionsartig aufbrechenden Lebens in der Wüste, wenn die Regenfälle des Winters zu Wasserströmen in den Tälern führen und die Wüste blüht.

Der Evangelienabschnitt schließt nicht direkt an den vom vergangenen Sonntag an, der eine Lehrdiskussion um die Reinheitsgebote enthielt, sondern lässt anschließende Details dieser Diskussion weg und schneidet auch die Erzählung der Begegnung mit der Ausländerin aus, die für ihre kranke Tochter um Hilfe bittet:

Jesus stand auf und wanderte weiter in das Gebiet der Hafenstadt Tyrus. Dort ging er in ein Haus hinein und wollte, dass niemand davon erfahre. Doch er konnte nicht unbemerkt bleiben, sondern sofort hörte eine Frau von ihm, deren kleine Tochter einen unreinen Geist in sich trug. Die Mutter kam und warf sich vor Jesu Füßen nieder. Die Frau war eine Griechin, sie stammte aus Syrophönizien. Sie fragte ihn, ob er ihre Tochter vom Dämon befreie. Da sagte er zu ihr: »Lass erst die Kinder gesättigt werden, denn es ist nicht gut, das Brot der Kinder zu nehmen und es den kleinen Hunden hinzuwerfen.« Aber sie antwortete und sagte unerschrocken zu ihm: »Lehrer, auch die kleinen Hunde unter dem Tisch essen von den Brotkrümeln der Kinder.« Da sprach er zu ihr: »Wegen dieser Antwort geh hin! Der Dämon hat deine Tochter freigegeben!« Und sie ging weg in ihr Haus und fand das Mädchen, wie es auf dem Bett lag, befreit vom Dämon.

(Evangelium nach Markus, Kapitel 7, Verse 24-30)

Nun ist das kein klassischer Zensur-Fall, weil die Parallelstelle im Matthäus-Evangelium am 20. Sonntag im Lesejahr A vorgetragen wird. In diesem Matthäus-Lesejahr hat man die Reinheits-Diskussion ausgeschnitten, die dafür im Markus-Lesejahr vorkommt. Aber hier zeigt sich, dass die Geschichte um die syrophönizische Frau bei der Erstellung der Leseordnung nicht in ihrer Bedeutung als Wendepunkt in Jesu Leben begriffen wurde.

Denn die Dekapolis, ein Gebiet von 10 Städten, bis auf eine alle östlich des Jordans am Nordufer des Sees Genezareth gelegen, heute teils auf dem Golan, teils in Jordanien als Ruinen noch sichtbar, galt im damaligen Israel als heidnisches Ausland schlechthin. Von weither waren die Tempel und Amphitheater über den See hin zu sehen. Eine der zehn Städte war Gerasa, bekannt durch die Szene mit den Dämonen, die in eine Schweineherde fuhren (Markusevangelium, Kapitel 5) - denn hier züchtete man Schweine auch als Exportgut, für JHWH-Gläubige Inbegriff der Unreinheit. Jesus war nach dem Markusevangelium zunächst hauptsächlich zwischen Nazareth und dem See Genezareth unterwegs  und bis zu der Konfrontatin mit der Syrophönizierin nur einmal am Rand der Dekapolis gewesen, eben in Gerasa, aber die Begegnung dort mit dem Besessenen ereignete sich ufernah, bei den Grabhöhlen außerhalb der Stadt, und Jesus und die Seinen waren nicht gezielt ins heidnische Gebiet gefahren, sondern hatten nur am Kafarnaum gegenüber liegenden Seeufer Abstand von der Volksmenge gesucht und waren unmittelbar nach der Begegnung mit dem Besessenen - dann Geheilten - wieder zurück auf die andere Seeseite und dann weiter nach Nazareth gezogen. Von Beginn des Evangeliums an erkannten ihn in dieser Gegend die Dämonen zuverlässig als Messias, unter den Menschen aber sorgte er mit seiner Lehre und seinen Heilungen für Diskussionen. Manche sahen in ihm Gottes Gesandten, andere blieben skeptisch, und er erntete Zuspruch genauso wie Ablehnung.

Die Szene mit der Mutter einer kranken Tochter, ihrer Hartnäckigkeit, ihrem Mut, ihrem Widerstand gegen die offene Ablehnung und Abwertung durch Jesus stellt nun einen Wendepunkt dar. Denn Jesus lässt sich von ihr korrigieren, ja sogar: bekehren, denn erst danach geht er gezielt aus der vermeintlichen Comfortzone hinaus ins Gebiet der Dekapolis, lässt sich hautnah auf die Menschen dort ein und verkörpert ihnen die heilsame Gegenwärtigkeit Gottes. Nun waren die Menschen dort nach dem Markusevangelium schon insofern vorbereitet, als der ehemals Besessene ihnen schon von Jesu Wirken berichtet hatte. Dennoch ist es bemerkenswert, dass erst hier, wo Jesus kein Heimspiel hat, die Menschen sein Wirken erstmals mit den prophetischen Worten in Verbindung bringen und somit das Messiasbekenntnis des Petrus wenig später, in Caesarea Philippi am Mittelmeerufer, implizit vorwegnehmen. Jesus ist nicht einzugrenzen, sagt dieser Ablauf, Innen und Außen lassen sich nicht mehr so klar bestimmen, Gott ist größer als unsere Abgrenzungen und Vorbehalte. Und es war die Ausländerin, die das in Gang gesetzt hatte.

Zusammenhänge sind wichtig. Und Jesu Begegnungen mit Frauen sind kein Beiwerk, sondern gehören zu den Fundamenten des Evangeliums, ohne sie bleibt es nur halb verstanden. Ich empfehle darum, das Evangelium im Zusammenhang vorzutragen, von Vers 24 bis Vers 37. Die Gesamtwirkung ist es wert.

 

Beitrag zur Geschichte mit der syrophönizischen Frau aus dem Evangelium nach Matthäus

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