Ansprache von Christoph Simonsen zum 15. Sonntag im Jahreskreis (B)

Datum:
So. 14. Juli 2024
Von:
Ursula Fabry-Roelofsen

Evangelium nach Markus (Mk 6,7-13)

 Er rief die Zwölf zu sich und sandte sie aus, jeweils zwei zusammen. Er gab ihnen Vollmacht über die unreinen Geister und er gebot ihnen, außer einem Wanderstab nichts auf den Weg mitzunehmen, kein Brot, keine Vorratstasche, kein Geld im Gürtel, kein zweites Hemd und an den Füßen nur Sandalen. Und er sagte zu ihnen: Bleibt in dem Haus, in dem ihr einkehrt, bis ihr den Ort wieder verlasst! Wenn man euch aber in einem Ort nicht aufnimmt und euch nicht hören will, dann geht weiter und schüttelt den Staub von euren Füßen, ihnen zum Zeugnis. Und sie zogen aus und verkündeten die Umkehr. Sie trieben viele Dämonen aus und salbten viele Kranke mit Öl und heilten sie. 

 

Ansprache:

Menschen gehen auf die Straße und treten auf gegen Unrecht und Unmenschlichkeit.

Menschen gehen auf die Straße und sie zeigen sich. Die Botschaft, die sie in die Stadt hineintragen, sie lautet schlicht: „Ich bin da“. Und ich stehe für etwas ein, was mir wichtig, lebenswichtig ist.

Menschen gehen auf die Straße und zeigen, woraus sie leben, was ihnen das Leben lebenswert macht, was ihrem Leben Sinn gibt.

Menschen gehen auf die Straße, weil sie die leidvolle Erfahrung gemacht haben, sich zu verstecken, unsere Gesellschaft, ja unsere Welt in den Abgrund führen kann.

Menschen gehen auf die Straße, weil sie die Gestaltung unserer Zukunft nicht Kräften überlassen wollen, die nur eines Sinn haben: Fremde und Fremdes auszusondern, auszugrenzen, auszuschließen.

Letzten Sonntag in Rheydt, einige Wochen zuvor in Übach-Palenberg und in Viersen: Menschen gingen queere auf die Straße. Sie wollen, dass sich etwas verändert, dass sich Verkrustungen lösen und Vorurteile hinterfragt werden.

Queere Menschen  gehen auf die Straßen, weil sie an einen Tag erinnern wollen, den keine und keiner von uns erleben möchte: Von der Staatsgewalt, von der Polizei verprügelt und gedemütigt zu werden, weil sie nicht der Norm entsprechen, der Norm, die Menschen gemacht und gesetzt haben und die ausgrenzend ist und ein großes Unrecht dazu. In der Nacht vom 27. auf den 28. Juni im Jahr 1969 haben Polizisten eine Bar gestürmt und die Besucher verprügelt und zusammengeschlagen, weil sie schwul sind. Weil sie nicht in das gesellschaftliche Schema passten, haben sich Staatsdiener das Recht herausgenommen, gewalttätig zu werden. Es wurde der Tag, an dem queere Menschen sich ihrer Würde und ihres Stolzes bewusst wurden. Daran erinnern die Pride-Days und sie stellen den erfahrenen -Verletzungen und Demütigungen ihre Lebensfreude gegenüber.

(Wenn Papst Franziskus letztens den Genderismus als die hässlichste Gefahr unserer Zeit bezeichnet, dann – sie mögen es mir entschuldigen – habe ich den Eindruck, er hat den Blick auf die Realitäten in unserer Welt ziemlich verloren. Was aber viel tragischer ist in meinen Augen, dass er in einer Art und Weise Menschen diskreditiert und verletzt, wie es einem Christenmenschen nicht zustehen sollte. Und mein Eindruck, dass das nicht einmal seine persönliche Meinung ist, sondern er mit solchen Sprüchen nur die rechten Ränder in unserer Kirche stillhalten möchte, macht es nicht besser.)

Vor gar nicht langer Zeit sind Menschen auf die Straße gegangen und tun es bis heute, weil sie Angst haben, unsere freiheitliche Demokratie könnte umgestürzt werden von rechtsradikalen Kräften. Und diese Angst ist ganz gewiss nicht unbegründet.

Heute mehr denn je ist es wichtig, sich nicht zu verstecken. Wir dürfen die Gestaltung unserer Gesellschaft und unserer Welt – ja und auch unserer Kirche nicht denen überlassen, die nur rückwärtsgewandt und in unfassbar menschenverachtenden Kategorien denken und handeln.

Im heutigen Evangelium hören wir davon, wie Jesus seine Freundinnen und Freunde auf die Straßen schickt. Und er gibt ihnen gute und wertvolle Worte mit auf den Weg. Damit bekräftigt er seine tiefste Überzeugung, dass jeder Mensch etwas zu sagen hat, dass jeder Mensch eine Botschaft in sich trägt, die anzuhören reich beschenkt.

Uns Christinnen und Christen ist eine Einzigartigkeit, eine Kostbarkeit, eine Würde geschenkt, die zu teilen, das Leben in der Welt unendlich reich macht. Um das auf die Straßen, in die Welt hineinzugeben, dazu gibt er ihnen hilfreiche Unterstützung mit auf den Weg.

Mit Vollmacht sollen die Freundinnen und Freunde reden. Jesus spricht von Vollmacht. Wohlgemerkt von Vollmacht, nicht von Macht. Worin liegt der Unterschied? Was ist der Unterschied zwischen Macht und Vollmacht? Macht, das wissen wir alle, steht in der Gefahr missbraucht zu werden. In einem Machtverhältnis gibt es immer ein oben und ein unten. Machtstrukturen zementieren ein Ungleichgewicht. Und Macht, wie wir Menschen sie oft verstehen, verursacht nicht selten Gewinner und Verlierer. Dass solch verstandene Macht Menschen zu erniedrigen vermag, ja sogar zu missbrauchen, davon hören wir leider Gottes tagtäglich, in unserer Gesellschaft und in unserer Kirche. Macht stärkt viel zu oft das „ich“ und schwächt das „Du“.

Wer mit Vollmacht auftritt, der will nicht das Sagen haben, der will nicht gewinnen. Der beruft sich nicht auf sein Amt, um Überzeugungen durchzusetzen, der überzeugt durch Menschlichkeit und Lernfähigkeit. Wer mit Vollmacht auftritt, kann sich selbst zurücknehmen und das Gegenüber groß werden lassen. Wer mit Vollmacht auftritt, der ist nicht der Besserwisser, der sein Gegenüber klein macht, sondern der Weise, der anderen auf Augenhöhe begegnet. Und da haben wir in unserer Kirche noch einen ziemlich großen Lernbedarf. Alleine die Tatsache, mit welcher Selbstgerechtigkeit in unserer Kirche Glaubenswahrheiten verkündet werden, die schon deshalb nicht aus dem Glauben begründet sein können, weil sie Menschen ausgrenzt und minderwertig macht, zeugt davon, wie weit sie entfernt ist von der wirklichen Glaubenswahrheit von der Gotteskindschaft aller.

Dann sendet Jesus seine Jünger*innen auch je zu zweit aus. Einer alleine steht immer in der Gefahr, sich zu überschätzen. Es macht Sinn und es ist notwendig, dass es immer ein Korrektiv gibt. Auch das fehlt in unserer Kirche, Vollmacht wird mit Allmacht verwechselt.

Und ein dritter hilfreicher Hinweis Jesu: Gut zu überlegen, was man auf dem Weg mitnimmt. Was schleppen wir nicht alles Unnötige mit uns herum, das uns hindert, unbeschwert in die Zukunft zu gehen. Der Ballast unserer Geschichte und unserer Traditionen: Oft liegen sie wie Mehltau auf unserem Glaubensleben. Mein Eindruck ist, dass wir für unseren Glauben halten, was doch im Letzten nur tote Buchstaben sind. Wir tragen auf unseren Schultern unerträglich viel Auswendiggelerntes, das unseren Glauben so schwer macht wie ein Sack Mehl. Wir meinen, wir müssten Gott gerecht werden. Wir sind der Überzeugung, er würde sich widerspiegeln in unseren Geboten und Normen. Wenn wir denen nachkommen, dann seien wir auf der sicheren Seite, dann dürften wir uns der Liebe Gottes sicher sein. So erklären es uns die Kirchenfürsten, und sie tun es mit Macht und autoritär, aber sie tun es nicht mit Vollmacht, denn sie tun es, um Herrschaft auszuüben über die Gläubigen.

„Nehmt nichts mit auf eurer Reise“, rät Jesus seinen Freundinnen und Freunden. Nehmt nichts mit, was euch die Schultern und das Herz schwer werden lässt, was euch hindert daran, euch unbeschwert bewegen zu können. Nur das, was ihr wirklich zum Leben braucht.

Gesetze können immer nur Gesetze auf Zeit sein, denn Zeit ändert sich. Was gestern noch für wahr gehalten wurde, wird heute von der Wissenschaft als falsch erkannt. Wir Menschen sind immer lernende Wesen.

Machen wir uns auf den Weg und erweisen wir uns als lernfähig. Machen wir uns auf den Weg und halten wir die Augen weit offen, wie bunt und vielfältig die Welt ist. Dann können wir befreit und mit Freude von einem Gott erzählen, der jedem Menschen eine einzigartige Würde zuspricht.