Ansprache von Christoph Simonsen zum 10. Sonntag im Jahreskreis (B)

Datum:
So. 9. Juni 2024
Von:
Ursula Fabry-Roelofsen
  1. Sonntag im Jahreskreis:

Evangelium nach Markus (Mk 3,20-35)

Jesus ging in ein Haus und wieder kamen so viele Menschen zusammen, dass sie nicht einmal mehr essen konnten. Als seine Angehörigen davon hörten, machten sie sich auf den Weg, um ihn mit Gewalt zurückzuholen; denn sie sagten: Er ist von Sinnen. Die Schriftgelehrten, die von Jerusalem herabgekommen waren, sagten: Er ist von Beelzebul besessen; mit Hilfe des Herrschers der Dämonen treibt er die Dämonen aus. Da rief er sie zu sich und belehrte sie in Gleichnissen: Wie kann der Satan den Satan austreiben? Wenn ein Reich in sich gespalten ist, kann es keinen Bestand haben. Wenn eine Familie in sich gespalten ist, kann sie keinen Bestand haben. Und wenn sich der Satan gegen sich selbst erhebt und gespalten ist, kann er keinen Bestand haben, sondern es ist um ihn geschehen. Es kann aber auch keiner in das Haus des Starken eindringen und ihm den Hausrat rauben, wenn er nicht zuerst den Starken fesselt; erst dann kann er sein Haus plündern. Amen, ich sage euch: Alle Vergehen und Lästerungen werden den Menschen vergeben werden, so viel sie auch lästern mögen; wer aber den Heiligen Geist lästert, der findet in Ewigkeit keine Vergebung, sondern seine Sünde wird ewig an ihm haften. Sie hatten nämlich gesagt: Er hat einen unreinen Geist. Da kamen seine Mutter und seine Brüder; sie blieben draußen stehen und ließen ihn herausrufen. Es saßen viele Leute um ihn herum und man sagte zu ihm: Siehe, deine Mutter und deine Brüder stehen draußen und suchen dich. Er erwiderte: Wer ist meine Mutter und wer sind meine Brüder? Und er blickte auf die Menschen, die im Kreis um ihn herumsaßen, und sagte: Das hier sind meine Mutter und meine Brüder. Wer den Willen Gottes tut, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter. 

 

Ansprache:

Ich hab schon ziemlich verrückte Freundinnen und Bekannte. Timo zum Beispiel: Der kommt in seinem Alter (das verrate ich jetzt nicht) auf die spinnerte Idee, einen Lehrgang zu machen zum Fallschirmspringer. Oder ein freundlicher Pfarrer aus der evangelischen Geschwisterkirche: Der hat sich entschieden, sein Leitungsamt als Superintendent aufzugeben und erst mal für unbekannte Zeit die Welt zu bereisen.

 

Manchmal wünschte ich mir, ich wäre auch so ein wenig verrückt und würde den Mut aufbringen, etwas zu verwirklichen, was ich mich bisher nicht getraut hatte, aber immer schon einmal machen wollte. Ich wollte immer mal in einem Zoo die Tierpflege von ganz großen Tieren übernehmen, von Elefanten zum Beispiel oder von Raubkatzen.

 

Haben Sie auch solche verrückten Träume? Eigentlich ist das ja ein tolles Kompliment, wenn jemand zu mir sagt: ‚Du bist ja bekloppt! Wie biste denn darauf gekommen?‘ Ich weiß nicht mehr, wann dieser Werbeslogan aktuell war, aber vielleicht erinnern Sie sich ja noch: „Sind wir nicht alle ein bisschen Bluna?“ Ich wünsche mir in unserer Kirche und in unserer Gesellschaft mehr Menschen, die ein ‚bisschen Bluna‘ sind.

 

Verrückt zu sein sollte eigentlich viel normaler sein, als wir meinen.

 

Jesus hat da ähnliche Erfahrungen gemacht: „Er ist von Sinnen“ so sagt sogar die eigene Familie über ihn. Ich könnte mir gut vorstellen, dass Jesus das als Kompliment aufgefasst hat, allerdings bin ich mir sicher, dass die Kritiker es sehr ernst meinten.

 

Ganz schnell haben sich dann andere in den gleichen Abgesang hineinbegeben. Besessen sei Jesus, von Beelzebul befallen, sogar der Satan wird ihm angedichtet.

 

Wenn wir Menschen etwas nicht verstehen, oder besser: nicht verstehen wollen, dann bringen wir den Teufel ins Spiel. Wir verteufeln, was wir nicht kennen und was wir nicht kennenlernen wollen.

 

Die ungeschminkte Offenheit Jesu, die ist den Mitläufern nicht geheuer. Sie tun, was uns vielleicht auch gar nicht so fremd ist:

Sie machen andere schlecht, die sich etwas Ungewöhnliches trauen, weil sie selbst zu bequem und zu sesshaft sind.

 

Interessant finde ich, dass gar nicht aufgeschrieben ist, was diese ängstlichen Menschen Jesus vorgeworfen haben. Es wird nur berichtet, wie Jesus in ein Haus geht und dass ihm viele folgen. Mehr wird nicht gesagt. Dennoch wird der Anschein erweckt, als müsste Jesus geradezu vor sich selbst geschützt werden.

 

Dabei ist es doch ganz anders, und das stellt sich ganz schnell heraus: Sie wollen nicht Jesus schützen, sie wollen ihn bloßstellen.  Sie haben nicht Angst um Jesus, sie haben Angst, sich selbst in Frage stellen zu müssen, wenn sie diesen Jesus tatsächlich ernst nehmen. Sie haben Angst vor Veränderung, vor Systemveränderung, vor Traditionsbrüchen. Es soll alles so bleiben, wie es war und Jesus bringt halt den ganzen Laden – salopp gesagt – durcheinander.

 

Jesus will einen Systemwechsel: Von der Fremdbestimmung weg, hin zu einem neuen Selbstbewusstsein jedes einzelnen Menschen. Zu einem Selbstbewusstsein, welches gerade das Verrückte im eigenen Leben wertzuschätzen weiß, das, was mich von den anderen unterscheidet, unverwechselbar macht.

 

Hier muss ich an die abscheuliche Tat denken, die den Bewohner*innen des Wohnheimes der Lebenshilfe bei uns in Mönchengladbach angetan wurde, als am vergangenen Montag Nazitypen einen Pflasterstein in ihr Wohnheim warfen, der eingewickelt war in einem Papier, darauf stand: „Euthanasie ist die Lösung). Mein Bruder leitet ein Heim von der Lebenshilfe und ich kenne einige liebe Menschen aus dieser WG. Was für wunderbare und liebenswürdige Menschen! Menschen, die nichts anderes als genau so leben wollen, wie ich, wie Sie, wie alle anderen. „Wehret den Anfängen“. In einem Land, in dem Naziparolen wieder salonfähig werden, da möchte ich nicht leben.

 

Sind es doch gerade die Verrücktheiten, die einen Menschen einmalig und auch liebenswert machen. Die Marotten, die vielleicht nicht alle verstehen und nachvollziehen können, die einen aber erst vor Augen führen, wie einmalig und unverwechselbar ein Mensch ist.

 

Der Systemwechsel beginnt im eigenen Kopf und im eigenen Herzen. Und wenn es drauf ankommt, dann ist jede und jeder von uns herausgefordert, der Fratze des Unmenschlichen, das großzügige Antlitz Jesu entgegenzustellen.

Das umfängliche ‚JA‘ Gottes verweltlicht sich in unserem menschlichen ‚JA‘. Der Maßstab menschlichen Zusammenlebens musst immer zuerst das ‚JA‘ sein, ohne Wenn und Aber. Mit weniger „aber“ und mehr „jetzt erst recht“ schwindet so mancher Neid und erwacht die Neugierde zu einem neugierig machenden Leben.