Ansprache zum Fest der Taufe des Herrn 2025:
Ich schau mich um und freu mich, Sie heute Abend hier zu sehen. Die meisten von Ihnen kennen ich nur vom Angesicht her. Ich schau in Ihre Gesichter, aber Ihre Lebensgeschichten, auch ihre Lebensschicksale sind mir verborgen. Dennoch ist etwas Vertrautes zwischen uns.
Sie mögen jetzt fragen: Was denn? Die gemeinsame Erfahrung, Kinder Gottes zu sein. Dass sich über einen jede und einen jeden von uns der Himmel aufgetan hat und immer wieder von Neuem auftut, so das dass sich für einen jeden und eine jede von uns ein Zwiegespräch zwischen uns und Gott ergeben kann. Jede und jeder von uns ist in gleicher Weise eine Ansprechpartnerin und ein Ansprechpartner Gottes. Wir sind Gottes Partner.
Wie ist das, wenn Gott und Mensch miteinander sprechen; wie ist das, wenn sie einander anschauen, in die Augen schauen: Gott und Mensch? Wie das ist? Wir können das am ehesten erfahren, wenn wir uns an Augenblicke erinnern, in denen uns Begegnungen wirklich geglückt sind. Vielleicht kommen sogar Begegnungen in den Blick, die wir an den Weihnachtstagen erleben durften oder in der Nacht zwischen dem alten und dem neuen Jahr.
Es war zu schön, um wahr zu sein, zu erleben, wie meine Mutter als Uroma ihre 5 Urenkel zu Weihnachten um sich hatte. Und vielleicht haben Sie von den Feiertagen ähnlich schöne Begegnungen in Erinnerung.
Es sind Tage, wo Menschen einander begegnen, die über das Jahr hinweg vielleicht weiter entfernt voneinander wohnen. Es sind Tage, wo Menschen verschiedener Generationen begegnen. Junge und Ältere erzählen miteinander und ganz unterschiedliche Lebenserfahrungen treffen aufeinander
Dann erkennen wir tatsächlich im Gesicht des älteren Menschen liebevoll die Spuren gelebten Lebens; und die Großeltern nehmen vielleicht den Wagemut des Enkels und die Lebenslust in seinen Augen wahr und staunen über die selbstverständliche Weltgewandtheit, die so wunderbar unbekümmert und ansteckend ist. Einander anschauen und hinter dem Sichtbaren das Unsichtbare erkennen: Gott erkennen. In der Tiefe eines Menschen, da zeigt sich nicht nur das Geheimnisvolle des Lebens, da ist das Leben vor allem echt und ehrlich. Und was echt und ehrlich ist, das ist auch wertvoll, das ist schützenswert.
Das möchte Gott: Das Wertvolle und Schützenswerte im Menschen entdecken, das Liebenswerte. „Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Gefallen“. Dazu braucht es Achtsamkeit, Geduld, Ausdauer; es muss halt erst die Oberfläche überwunden werden, um zum Kern, zur Seele vorzudringen. Das ist ein großes und wunderbares Geschenk, wenn wir einander durchlassen, wenn wir einander zulassen, zur Mitte, zum Lebenskern vordringen zu dürfen. Es ist mehr als ein Geschenk; es ist die Voraussetzung dafür, Mensch zu sein.
Wer nur sich selbst kennt, der kann sich nicht wirklich kennen. Auf den ersten Eindruck erscheint das paradox; aber Gott selbst ist der beste Beweis dafür: Erst in der Begegnung, in der wahren Begegnung, im Erkennen seines Gegenüber, vermag der Mensch sich wahrhaftig zu erkennen. Die Eltern, die Hirten, die Weisen, sie erkennen sich selbst im Blick auf das Kind in der Krippe; erst im Gegenüber des kleinen Kindes erkennen sie ihre Würde, ihre Größe, ihre Einmaligkeit. Und auch das Kind: in der Ehrfurcht der anderen ihm Gegenüber wird er erwachsen und erkennt seinen göttlichen Auftrag und nimmt ihn an. Gott wächst in seiner Göttlichkeit und der Mensch erfährt, was Menschsein bedeutet in der Begegnung, im je anderen.
Deshalb sind wir aufeinander verwiesen. Deshalb ist Freundschaft, Vertrauen, Liebe viel mehr als nur eine Versüßung des Lebens, sondern vielmehr Grundvoraussetzung für Selbsterkenntnis und Menschwerdung. Wer Freundschaft, Vertrauen, Liebe verweigert oder missbraucht, der verschließt Menschen die Chance, sich so nahe zu kommen, dass sie im Einklang sein können mit sich selbst. Seien wir einander behilflich, dass wir in diesem neuen Jahr 2025 als Menschen leben können so, wie Gott uns gedacht und gemacht hat. Schenken wir einander Vertrauen und Wertschätzung. Schauen wir einander an, so wie Gott uns anschaut: Mit Wohlwollen und der existentiellen Erwartung, auf diese Weise dem/der anderen wie auch sich selbst dienlich zu sein auf dem Weg der gottersehnten Menschlichkeit.
Das Wasser der Taufe mag uns erinnern und ermutigen, das Oberflächliche und äußerliche beiseite wischen, oder besser: waschen zu können und dem Herzen des Nächsten nahe zu kommen.