Und dann nehmen Sie sich zehn Minuten Zeit, alle Klischees, Vorurteile, Beschimpfungen aufzuschreiben, die Sie zu diesen Minderheiten kennen. Sie werden erschreckt sein, was da zusammenkommt. Eine solche geballte Portion dessen, was an Parolen im eigenen Gehirn gelandet und gespeichert ist, kann ausgesprochen schwere Kost sein. Diese Konfrontation mit allem Gehörten, Gelesenen, Gesagten und Gedachten ist alles andere als künstlich.
Viele erleben sie täglich: die Schmähungen von Migranten und Flüchtlingen, von Muslimen, von Arbeitslosen und Wohnungslosen, von Homosexuellen und Menschen mit Behinderung, ja auch der Hälfte der Menschheit – Frauen. In Internetforen, scheinbar anonym und häufig ohne Hemmungen, aber inzwischen auch ungeschminkt auf der Straße, in Bus und Bahn, in der Kneipe, im Freundes- und Familienkreis. Angefeuert durch gewissenlose Parteipolitiker, welche die Diskriminierung von Minderheiten als Mittel ihrer Wahlwerbung entdeckt haben.
Was kann man da als Einzelner tun? Wie kann man sich gegen die Gewalt, die von diesen Worten ausgeht, wappnen, wie kann man solidarisch sein? Diese Fragen beschäftigen viele Christen, die sich gesellschaftlich und kirchlich engagieren. Sie spüren: Die Debattenkultur verlottert. Was können sie selbst dagegen setzen? Muss man sich so fit machen, dass man gegen professionell ausgebildete Wort-verdreher aus populistischen Parteien besteht? Oder geht es auch eine Nummer kleiner? Dafür plädiert Patricia Karuhtz. Zum Beispiel, wenn Frauen und Männer aus Räten und Verbänden ihr gegenüber sitzen und eine Zurüstung wünschen. Kürzlich war das der Fall, als der Diözesanrat der Katholiken zu einem Training gegen populistische Parolen einlud. Karuhtz hat in den letzten Jahren viele Seminare dieser Art im Bistum Aachen und darüber hinaus gestaltet. Meist waren Jugendliche ihre Trainingspartner, die inzwischen 30-Jährige hat als Bildungsreferentin beim Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) im Bistum Aachen gearbeitet. Jetzt verwirklicht sie ihre Leidenschaft für ein friedliches Zusammenleben in Vielfalt und Freiheit als freiberufliche Beraterin und Dozentin. Und stellt rasch fest: Die Grundfragen von Jugendlichen und Erwachsenen sind dieselben, wenn es darum geht, wie man auf menschenfeindliche Parolen reagiert.
Die erste Botschaft, die Karuhtz setzt: Es geht in dieser Situation im Internet, im Zug, im Bekanntenkreis nicht darum, die Welt zu retten. Das kann man auch gar nicht. Es geht im Zweifel noch nicht einmal darum, das Gegenüber in der jeweiligen Situation zu überzeugen. Auch das kann man häufig nicht, denn das Denken, das Parolen auslöst, sitzt zu tief dafür. Darauf muss man erst einmal kommen, Migranten, Homosexuelle, Frauen zu beschimpfen. Das ist ein weiter Weg vom menschlichen Mitgefühl hin zur menschenfeindlichen Verachtung. Wer dort gelandet ist, ist viele Schritte gegangen.
Warum also soll man überhaupt sich auflehnen gegen das Klischee, das Vorurteil, die Beschimpfung? Die 30-Jährige nennt gleich zwei Gründe: für die anderen, die Zeugen sind, wie andere Bahnfahrer, und für diejenigen, die von den Parolen betroffen sind. Gegenhalten ist so gesehen Arbeiten an einem menschenfreundlichen Klima in unserer Gesellschaft – und es ist tätige Solidarität. Patricia Karuhtz berichtet von ihrer eigenen Motivation und Hoffnung, auf diese Weise als Christin etwas zum Guten zu bewegen. So kann sie glaubwürdig mit Leuten reden, die ähnlich empfinden.
Am Anfang steht das Verständnis der aggressiven Vereinfachungen. Nicht selten geht es bei diesen um Gefühle wie Angst, Neid, Unsicherheit und Überheblichkeit. In der Parole artikuliert sich oft eine Verletztheit, ein Gefühl der Benachteiligung, mangelnder Beachtung, bedrohter Grundlagen. Die Welt hat sich verändert und der Vereinfacher kommt nicht mehr mit oder will es nicht. Er sucht Anschluss. Aus Halbwissen werden Erklärungen.
Es ist wichtig, das alles zu verstehen, sagt Karuhtz, und seinerseits das Mitgefühl zu bewahren. Das Gegenüber bezöge zwar mit seiner Parole eine inakzeptable Haltung. Aber in anderen Situationen und Rollen, etwa als Vater oder als Vereinskamerad, könnte er okay sein. Insofern zähle als erste Regel, nicht Gleiches mit Gleichem zu vergelten, sondern den Dampf aus der Situation zu nehmen, Ruhe zu bewahren. Und dann gibt es viele Techniken, die Parole auf ihren unsachlichen Kern zurückzuführen: Nachfragen, Weiterdenken, Differenzieren. Ohne Wissen geht das Ganze nicht, denn Fakten sind die Wurzel der Widerlegung. Und wenn das Gespräch in einer Sackgasse landet, empfiehlt sich der Themenwechsel. Oder, da man weder die Welt noch das Gegenüber retten muss, kann man auch ganz einfach loslassen: aufstehen und gehen.