Orkun Sensebat von der Initiative „Wir sind Aachen“ setzt ein klares Zeichen für Vielfalt und Demokratie.:„Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit“

Klares Zeichen für Vielfalt und Demokratie:
In Aachen hat sich eine beeindruckende Bewegung gegen Rechtsextremismus formiert. Mit einer großen Demonstration setzte die Initiative „Wir sind Aachen“ ein klares Zeichen für Vielfalt und Demokratie. Orkun Sensebat hat die Großveranstaltung organisiert. Im Interview spricht der 30-jährige Physiker über die Herausforderungen bei der Planung, die überwältigende Resonanz und die nächsten Schritte für eine nachhaltige Demokratiebewegung.
Wie ist das Bündnis „Wir sind Aachen“ entstanden?
Orkun Sensebat: Unsere Initiative „Wir sind Aachen“ ist eine Bürgerbewegung gegen Rechtsextremismus. Sie entstand, als investigative Journalisten von einem Geheimtreffen berichteten, bei dem es um Pläne ging, die unter dem Begriff „Remigration“ Schlagzeilen machten. Damals hat es uns auf die Straße gebracht, um ein Zeichen gegen diese menschenverachtende Politik zu setzen. Wir wollten nicht tatenlos zusehen, sondern zeigen, dass Aachen für Vielfalt, Offenheit und Demokratie steht.
Wie hat sich die Initiative organisiert?
Orkun Sensebat: Die ersten Ideen entstanden aus dem politischen Umfeld heraus. Politische Vertreter demokratischer Parteien hatten den Gedanken, dass am Holocaust-Gedenktag ein klares Zeichen aus Aachen kommen muss. Diese Idee hat sich schnell verbreitet, und es wurde allen klar: Wir können nicht einfach zuschauen, wie Rechtsextremismus immer präsenter wird. Also haben wir ein Bündnis geschmiedet, bestehend aus politischen Parteien, Religionsgemeinschaften und anderen gesellschaftlichen Gruppen. Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich bei einem Treffen des „Runden Tischs gegen Rechts“ 80 Visitenkarten verteilt habe. Am nächsten Morgen hatte ich 400 ungelesene E-Mails im Postfach – das zeigt, wie viel Zuspruch es gab.
Wie lief die Planung der großen Demonstration ab?
Orkun Sensebat: Die Organisation war wahnsinnig aufwändig. Wir haben Teams für Sicherheit, Finanzen, Kommunikation und Logistik gegründet, Sicherheitspläne erstellt, Versammlungen angemeldet und Ordner eingeteilt. Es war ein immenser Aufwand, den wir alle ehrenamtlich gestemmt haben.
Wie war die Resonanz auf die Demo?
Orkun Sensebat: Wir wussten, dass sie groß wird, aber das wahre Ausmaß hat uns überrascht. Zunächst dachten wir, dass ein paar tausend Menschen kommen würden. Doch als der Tag kam, standen wir vor 20.000 Demonstrierenden – Menschen, die mit uns für Vielfalt, Offenheit und Demokratie auf die Straße gingen. Das war eine unglaubliche Erfahrung! Menschen aus allen gesellschaftlichen Gruppen waren vertreten: Gewerkschaften, Vereine, Religionsgemeinschaften, Schülerinnen und Schüler, Studentinnen und Studenten, Seniorinnen und Senioren. Die Stadt war voll von Menschen, die sich gegen Hass und Hetze positionierten.
Wir haben in der Vorbereitungsphase besonders darauf geachtet, dass unsere Veranstaltung inklusiv bleibt. Es war uns wichtig, dass alle demokratischen Parteien, Religionsgemeinschaften und zivilgesellschaftlichen Gruppen sich beteiligen konnten. Nur so konnte das breite Spektrum unserer Gesellschaft sichtbar werden. Die Rückmeldungen waren überwältigend positiv. Viele Menschen haben sich bedankt, dass wir die Initiative ergriffen haben.
Gab es Widerstand oder negative Reaktionen?
Orkun Sensebat: Nein, tatsächlich nicht. Zumindest nicht im Vorfeld. Die Rechtsextremen waren erstaunlich still. Natürlich gibt es immer Anfeindungen im Internet, aber auf den Straßen von Aachen war klar: Wir sind die Vielen, sie sind die Wenigen.
Dennoch beobachten wir, dass Vertreter rechtsextremer Positionen mittlerweile aktiver geworden sind. Sie versuchen vermehrt, in der Stadt Präsenz zu zeigen. Das stellt uns vor neue Herausforderungen, denn es bedeutet, dass wir kontinuierlich aufmerksam bleiben müssen. Unsere Demonstration war ein großer Erfolg, aber sie war nur ein Anfang. Die Arbeit für eine offene Gesellschaft endet nicht mit einer großen Veranstaltung, sondern beginnt danach erst richtig.
Wie geht es jetzt weiter? Wie sieht die weitere Planung aus?
Orkun Sensebat: Nach dieser riesigen Mobilisierung haben wir entschieden, unsere Arbeit nachhaltiger aufzustellen. Gerade gründen wir einen Verein, damit wir langfristig arbeiten und besser finanziert werden können. Kürzlich haben wir einen Spendenaufruf gestartet und waren überwältigt von der Unterstützung. Das gibt uns die Möglichkeit, zukünftige Aktionen noch professioneller zu planen und durchzuführen. Unser Ziel ist es, weiterhin sichtbar zu bleiben und klare Zeichen gegen Rechtsextremismus zu setzen.
Zusätzlich planen wir Bildungsveranstaltungen und Diskussionsrunden, um das Bewusstsein für demokratische Werte zu schärfen. Wir wollen nicht nur gegen etwas sein, sondern für etwas: für eine demokratische, offene und tolerante Gesellschaft.
Was ist die zentrale Botschaft an die Menschen?
Orkun Sensebat: Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit. Sie muss jeden Tag aufs Neue verteidigt werden. Wir müssen uns klarmachen, dass in der Vergangenheit Menschen vielleicht in ähnlichen Situationen waren und dachten: "Ach, das wird schon nicht so schlimm." Doch genau dann ist der Moment, in dem gehandelt werden muss. Unser Wunsch ist es, dass sich alle aktiv für die Demokratie einsetzen, sich informieren und laut werden, wenn es darauf ankommt. Aachen ist bunt, international und vielfältig – und genau das müssen wir verteidigen! Unsere Botschaft ist einfach: Demokratie lebt durch die Menschen, die sich jeden Tag für sie einsetzen. Sei es durch Diskussionen, durch Bildung oder durch friedlichen Protest – wir alle haben eine Verantwortung. Aachen hat bewiesen, dass es sich nicht von rechtsextremen Strömungen einschüchtern lässt. Lassen wir nicht nach, sondern machen wir weiter!
Das Interview führte Paul Arns, Kommunikationsabteilung Bistum Aachen.