Aufarbeitung sexualsierter Gewalt im Bistum Aachen:Podiumsdiskussion und Vortrag an der RWTH Aachen
„Ich habe den Eindruck, dass man im Hier und Jetzt und vielleicht in der Zukunft auf einem guten Weg ist, aber dass es in der Aufarbeitung der Vergangenheit noch hapert. Vieles fehlt, es besteht viel Unzufriedenheit bei Betroffenen und der Aufarbeitungskommission. Da geht es mir manchmal einfach zu quälend langsam“, brachte es der Journalist Oliver Schmetz auf den Punkt. Aufarbeitung, Verantwortung und der Umgang mit sexualisierter Gewalt im Bistum Aachen standen im Mittelpunkt einer Podiumsdiskussion an der RWTH Aachen am Donnerstagabend.
Eingeladen hatten das Kollektiv der Fachschaft 7/1 Philosophie und das Hochschulradio Aachen, rund 200 Menschen verfolgten die Diskussion im Grünen Hörsaal, zudem gab es einen Live-Stream. Auf dem Podium diskutierten Professor Dr. Thomas Kron vom Institut für Soziologie der RWTH Aachen, Paul Leidner, Mitglied der Aufarbeitungskommission im Bistum Aachen und entsandt aus dem Betroffenenrat des Bistums Aachen, der Oliver Schmetz (Mediahuis Aachen) und Marliese Kalthoff, Pressesprecherin und Leiterin der Kommunikation und Digitalisierung des Bistums Aachen. Dr. Steffen Jöris hatte die Moderation übernommen.
In einem Vortrag hatte Thomas Kron skizziert, wie in den vergangenen Jahrzehnten „die Kirchenverantwortlichen die Taten vertuscht haben“ und identifizierte Elemente solcher Vertuschungsstrategien wie „Versetzung, Verharmlosungsgeschichten, Täter-Opfer-Umkehr, Verharmlosung der Gewalt, Brüderlichkeitsethik, Kuhhandel und Schweigen“. „Sie haben die Unerträglichkeit komprimiert dargestellt und sehr schonungslos die Probleme der Kirche von 1965 bis 2019 offengelegt“, sagte Bistumssprecherin Marliese Kalthoff, die angesichts vieler mittlerweile aufgearbeiteten Fälle von einer „kompletten Desorganisation von Verwaltung gepaart mit dem Vorsatz des Vertuschens in dieser Zeit“ sprach und betonte: „Es kann keine Relativierung des Unrechts geben.“
Damit sich Unrecht aber nicht wiederholt beziehungsweise neues Unrecht geschieht, gab es seit dem Jahr 2020 über 30 Einzelmaßnahmen zur Prävention: Von der einheitlichen, digitalen Personal- und Sachaktenführung bis zur Reform der Priesterausbildung in Zusammenarbeit mit unabhängigen Psychologen. „Jedweder Vorwurf, der heute gemeldet wird, landet umgehend bei einem Krisenstab. Alle Vorwürfe werden an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet. Hier arbeitet keiner mehr selber etwas auf oder es landet im Aktenstapel.“
„Es geht alles viel zu langsam. Im jetzt laufenden Tempo diskutieren wir vermutlich noch 50 Jahre, Betroffene werden keine Gerechtigkeit erfahren, sie werden sang und klanglos aussterben“, forderte Paul Leidner eine bessere Personalausstattung bei der Aufarbeitung und der Bearbeitung der Entschädigungszahlungen – und kein Spiel auf Zeit. Rechtlich müsse die Verjährung bei allen Verfahren aufgehoben werden. Doch auch ohne Änderung des Gesetzgebers müsse sich Kirche „an ihre moralische Nase fassen lassen“. Paul Leidner: „Es ist schlicht amoralisch, sich hinter die Schranke der Verjährung zu verziehen. Ein schlechteres Beispiel für unmoralisches Verhalten fällt mir nicht ein.“